Im Rahmen dieser Reise zeigte sich der Vorsitzende der Migrationskommission der DBK beeindruckt von dem vielfältigen Engagement des KAAD-Netzwerks in Kenia. Ziel der Reise war es, Menschen auf der Flucht zu begegnen und die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine Region zu lenken, die im Globalen Norden oft allzu wenig Beachtung findet. Zu der Delegation zählte auch Dr. Marko Kuhn, Referatsleiter Afrika des KAAD. Im Vorfeld der Reise brachte der KAAD seine Kontakte zu örtlichen Diözesen und Experten vor Ort in die Vorbereitung mit ein. So veranstaltete der kenianische Zweig der KAAD-Vereinigung KASEA (KAAD Association of Scholars from East Africa) am Tag nach der Ankunft der DBK-Delegationein Symposium zu politischen und glaubensbasierten Perspektiven auf Flüchtlinge und Vertriebene in Kenia, das von der KAAD-Alumna und Friedensforscherin Dr. Constansia Mumma Martinon vorbereitet und moderiert wurde. Constansia Mumma-Martinon ist Mitglied und stellvertretende Vorsitzende des KAAD-Partnerkomitees in Nairobi und erhielt 2021 den Preis der KAAD-Stiftung Peter Hünermann für ihre herausragenden Leistungen im pädagogischen, politischen und kirchlichen Umfeld ihres Heimatlandes – insbesondere im Hinblick auf ethnische Konflikte und Versöhnungsarbeit.
Zunächst sprach KAAD-Alumna Caroline Muthoni Njuki, eine der führenden Expertinnen im Land für Flüchtlingsfragen, über „Flüchtlinge, Vertreibung und Asyl in Kenia unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Somalia und der klimabedingten Migration“. Sie ging dabei vor allem auf die staatlichen Ansätze der Flüchtlingspolitik sowie auf die Haltungen der Aufnahmegesellschaft(en) in Kenia ein. Caroline Njuki absolvierte mit einem KAAD-Stipendium den Masterstudiengang Interkulturelles Konfliktmanagement an der Alice Salomon Hochschule in Berlin. Während dieses Studiums engagierte sie sich ehrenamtlich in der Flüchtlings- und Migrationsarbeit, indem sie afrikanische Migranten unterstützte, die in Deutschland Asyl suchten. Zwischen 2008 und 2011 arbeitete sie bei der Internationalen Organisation für Migration in Somalia im Bereich Migration und Migrationsmanagement. Anschließend arbeitete sie in Dschibuti, wo sie das Regionalsekretariat der IGAD (Intergovernmental Authority on Development) zum Thema Zwangsvertreibung und gemischte Migration leitete. Da sie jahrelang für die IOM (UN Organisation for Migration) in Somalia gearbeitet hat, konnte sie auf dieses schwierige Umfeld ein besonderes Augenmerk legen. Auch legte sie in ihrem Vortrag einen Akzent auf den Aspekt, dass immer mehr Menschen in der Region aufgrund von Dürren und Überflutungen ihre Heimat verlassen müssen.
Ein zweiter Vortrag über „Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Flüchtlinge und Asylsuchende in Kenia“kam von Dr. Catheline Bosibori Nyabwengi, die vor kurzem ihre Promotion mit einem KAAD-Stipendium an der Universität Bayreuth abgeschlossen hat. Ihr wissenschaftlicher Fokus liegt auf den Fragen von Gewalt in Politik, Religion und terroristischen Aktivitäten; sie hat Erfahrungen als Forschungsassistentin am Hekima Institute of Peace Studies and International Relations und ist Dozentin an der Kiriri Women's University of Science and Technology in Nairobi. In ihrem Vortrag zeigte sie auf, wie vulnerabel Menschen in der Situation von Flucht und Vertreibung für sexualisierte Gewalt sind. Sie erklärte, dass auch häusliche und sexuelle Gewalt gegen Minderheiten in dieser Lage häufiger vorkommt und zeigte auf, welche Maßnahmen notwendig sind, um die Geflüchteten und Asylsuchenden vor Übergriffen zu schützen. Hierzu zählt beispielsweise eine bessere Schulung von Sicherheitspersonal und Polizei, da Hilfesuchende und Überlebende von geschlechtsbezogener Gewalt häufig nicht ernst genommen werden. Auch das systematische Hinhören und Hinsehen gehört zu den Methoden, da bisher nur sehr wenige solcher Fälle erkannt und angezeigt werden, sowie die konsequente Verfolgung der Täter.
Vortrag von Dr. Catheline Bosibori Nyabwengi
Nach dem Symposium feierte Erzbischof Heße eine Heilige Messe in der St. Pauls-Kapelle. Dabei wurde er von den beiden geistlichen Begleitern von KASEA Kenya, Fr. Peter Kaigua (Hochschulpfarrer der University of Nairobi) und Dr. Bernard Opiyo sowie von dem KAAD-Alumnus Dominic Mutua, der Mitglied des Jesuitenordens ist und als Diakon fungierte, begleitet. Im Anschluss konnten sich Erzbischof Heße und die Delegation mit den KASEA-Mitgliedern austauschen, bevor das Hope Theater Nairobi neben traditionellen Tänzen die Themen Kinderschutz und Flüchtlinge tänzerisch umsetzte. Das Hope Theater Nairobi ist eine gesellschaftspolitische Theater- und Tanzperformancegruppe aus Nairobi, die 2009 von dem deutsch-österreichischen Regisseur Stephan Bruckmeier mit jungen Erwachsenen aus den Slums der Stadt gegründet wurde. In Deutschland hat die Gruppe mit dem KAAD und seinen Stipendiaten bei diversen Veranstaltungen wie beispielsweise dem Katholikentag zusammengearbeitet.
Bei Begegnungen mit dem Erzbischof von Nairobi, Erzbischof Philip Subira Anyolo, dem kenianischen Migrationsbischof, Bischof Henry Juma Odonya, und Caritas-Mitarbeitern bekam Erzbischof Heße einen Einblick in die Arbeit der Ortskirche: „Die katholische Kirche übernimmt in Kenia eine wichtige Rolle bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten. Gemeinsam mit internationalen Partnern setzt sie sich dafür ein, dass die Bedürfnisse von Geflüchteten gesehen werden und sie in Würde leben können. Im wirtschaftlich benachteiligten Stadtteil Githurai erzählten mir sowohl Flüchtlinge als auch Einheimische, dass die kirchliche Unterstützung für sie überlebensnotwendig ist. Ähnliches wurde mir auch im Kangemi-Slum geschildert. Ich bin dankbar für die Lebensgeschichten, die die Menschen mit mir geteilt haben, und für die vielen kirchlichen Hilfsinitiativen.“
Ein Besuch im Turkana County im Nordwesten Kenias führte Erzbischof Heße dann in das Flüchtlingslager Kakuma, in dem aktuell etwa 300.000 Schutzsuchende leben. Dort konnte die Delegation verschiedene Projekte der Salesianer Don Boscos und des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes kennenlernen und Gespräche mit dem KAAD-Alumni Joseph Elim Epuu unddem KAAD-Stipendiaten Mathew Etabo Edung führen. Beideberichteten eindrücklich von der wichtigen Arbeit, die sie vor Ort leisten, um Bildung und Entwicklung in der Region zu fördern:
Joseph Epuu, der mit einer Sehbehinderung geboren wurde,stammtaus der Turkana-Gemeinde; seine Heimatgemeinde, die Good Shepherd Parish Kakuma, liegt neben dem Flüchtlingslager. Schon während seines Bachelorstudiums an der Kenyatta University (KU) in Nairobi setzte er sich für behinderte Studenten ein. Er war psychosozialer Berater und Konfliktlösungsbeauftragter im Flüchtlingslager in Kakuma und als stellvertretender Koordinator für Gerechtigkeit und Frieden für die katholische Diözese Lodwar tätig. Mit einem KAAD-Sur Place-Stipendium absolvierte er einen Master in Politikwissenschaft in Nairobi und setzt sich seither in enger Kooperation mit der katholischen Kirche dafür ein, dass junge Menschen in seiner Heimatregion Alternativen zum traditionell gewalttätigen „Cattle Rustling“ finden, dem Viehraub in benachbarten Gemeinden, dem jedes Jahr viele Menschen zum Opfer fallen. In der durch Konflikte zwischen den jeweiligen nomadischen Gemeinschaften geprägten Gegend kommt erschwerend hinzu, dass der Klimawandel zu immer extremeren Dürren auf der einen und Überflutungen auf der anderen Seite führt. Da es sich um das Grenzgebiet zwischen Kenia, dem Südsudan, Uganda und Äthiopien handelt, sind auch interstaatliche Unstimmigkeiten und Grenzkonflikte Teil der Problemlage. Derzeit promoviert Joseph Epuu in Politikwissenschaft und öffentlicher Verwaltung an der Moi Universität in Eldoret und ist Leiter für Jugend- und Gleichstellungsfragen des Bezirks Turkana.
Auch Mathew Etabo Edung stammt aus der Ethnie der Turkana, bei denen es sich traditionell um Nomaden oder Halbnomaden handelt. Nach einem Bachelor-Abschluss in Landwirtschaft und Humanökologie an der Egerton University in Njoro bei Nakuru erwarb er einen Master-Abschluss in Agronomie an der KU. Er war Mitarbeiter der internationalen NGO Solidarites International (Agrarsektor) und in der Landwirtschaftsabteilung der lokalen Verwaltung (Bezirk Turkana). Im Jahr 2019 wurde er Dozent am Turkana University College, der ersten staatlichen Universität in der Region. Seit 2021 promoviert er als KAAD-Stipendiat in Agrarwissenschaften am Institut für Pflanzenernährung und Bodenkunde der Universität Kiel. Mittlerweile hat er eine eigene NGO gegründet, die sich auf humanitäre Hilfe für Flüchtlinge, Binnenvertriebene und die Entwicklung lokaler Aufnahmegemeinschaften in Kenia konzentriert. Zu den Zielen dieser NGO gehört vor allem die Initiierung von grenzüberschreitenden Friedenskampagnen für die angrenzenden Gemeinden und die Entwicklung von Methoden des Zusammenhaltes durch Integration der Flüchtlinge in den Lagern. Bei dieser Initiative zur Friedenskonsolidierung zwischen den Turkana und Nyangatom auf dem sogenannten „Kibish-Korridor“ arbeitet er mit dem KAAD-AlumniCharles Peyo Arupur zusammen, der zwar äthiopischer Staatsbürger ist, aber zu einer Volksgruppe im „Kibish Korridor“ gehört. Charles Arupur hat im letzten Jahr den Commitment-Award der Willy Brandt School of Public Policy für sein Projekt zur Betreuung und Wiedereingliederung von Kindern aus Familien, die in Äthiopien Opfer von Viehdiebstählen geworden sind, erhalten und ist Gründer der NGO Initiative for Pastoralist Communication, die sich um die Kommunikation zwischen den Nyangatom und den Turkana bemüht, deren Beziehung angespannt ist. Seine Teilnahme an dieser Begegnung musste er leider kurzfristig absagen, da eine Fahrt nach Lodwar durch Überflutungen aufgrund der extremen Regenfälle der vergangenen Wochen nicht möglich war.
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In ehrenden Worten zeigte sich der Erzbischof beeindruckt von dem Engagement unserer Stipendiaten: „Das vielfältige Engagement der KAAD-Stipendiaten in Kenia hat mich beeindruckt. Motiviert durch ihren Glauben setzen sie sich mit akademischem Sachverstand und praktischer Expertise für gesellschaftliche Verbesserungen ein. Sie sind wirklich Salz der Erde“.