Die Europäische Union und Osteuropa – Zwischen Hoffnung und Ernüchterung

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Vom 27. Juni bis zum 1. Juli 2022 trafen sich unter dem Titel „Die Europäische Union und Osteuropa – Zwischen Hoffnung und Ernüchterung“ 23 KAAD-Stipendiatinnen und Stipendiaten aus neun Mittel-, Südost- und Osteuropäischen Ländern zu einem Seminar in Brüssel.

Vom 27. Juni bis zum 1. Juli 2022trafen sich unter dem Titel „Die Europäische Union und Osteuropa – Zwischen Hoffnung und Ernüchterung“ 23 KAAD-Stipendiatinnen und Stipendiaten aus neun Mittel-, Südost- und Osteuropäischen Ländern zu einem Seminar in Brüssel. Geleitet wurde das Seminar von Markus Leimbach, Leiter des Referats Osteuropa im KAAD, und geistlich begleitet von P. Prof. Dr. Thomas Eggensperger OP.

Marek Misak, außenpolitischer Referent der ComECE (Kommission der europäischen Bischofskonferenzen), führte die Gruppe in das Thema ein, indem er den Ablauf und die verschiedenen Phasen des Beitritts eines Landes in die EU darstellte. Er machte deutlich, dass in der Vergangenheit eine gewisse Zögerlichkeit der EU zu tatsächlichen Beitrittsverhandlungen zu beobachten war und der Fokus eher auf einer unverbindlichen Nachbarschaftspolitik zu potentiellen Beitrittskandidaten lag, während sich – nicht zuletzt aufgrund des Krieges in der Ukraine – gegenwärtig eine Änderung in der Herangehensweise beobachten lässt. Marek Misak stellte auch heraus, dass die EU die Erfahrung machen musste, dass in einigen der neueren EU-Ländern die demokratische Entwicklung nicht nur stagniert, sondern demokratische sowie rechtsstaatliche – und damit für die EU grundlegende – Prinzipien geradezu ihre Gültigkeit verlieren. Durch solche Prozesse der Entdemokratisierung werden aus Sicht vieler EU-Bürger die Erweiterungen der europäischen Union insgesamt fragwürdig.

Marek Misak ging auch auf Haltung der katholischen Kirche in Europa ein, die den Erweiterungsprozess der EU durchaus positiv betrachtet und die Entwicklungen unterstützt. Abschließend wurde die Zukunftsfähigkeit der EU in den Blick genommen: institutionelle Reformen wie die Einführung von Mehrheitsbeschlüssen, die Einschränkung der Anzahl der Kommissionen und mehr Bürgerbeteiligung über Bürgerforen sollen die zukünftige Handlungsfähigkeit sichern. An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an, bei der viele der angesprochenen Themen vertieft wurden.

In einem zweiten Teil des Seminares hielten die Teilnehmenden selbst Vorträge darüber, wie die EU in ihren Heimatländern Albanien, Armenien, Georgien, Kroatien und der Ukraine wahrgenommen wird. Hierzu einige Schlaglichter: Für Albanien fasste Edia Herri die Aussagen zur EU in dem Satz „Die Albaner träumen von Europa, obwohl es für sie derzeit unerreichbar erscheint“ zusammen. Armenien, so stellten Nelli Voskanyan und Karine Hovhanisyan dar, würde eine Aufnahme in die Europäische Union unter anderem Sicherheit vor den Aggressoren in der Nachbarschaft sowie eine weitere wirtschaftliche Entwicklung bedeuten. In Kroatien gehen, so Sr. Tea Barnjak, die Meinungen bezüglich einer Aufnahme in die EU zwischen einem weiterhin bestehenden Enthusiasmus und einer beginnenden Skepsis gegenüber der EU auseinander. Die geplante Euro-Einführung am 1. Januar 2023 schürt bei einem Teil der Bevölkerung die Angst vor Verarmung, die anderen erwarten eine wirtschaftliche Prosperität. Evelin Menteshasviliberichtete über Georgien, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung für einen EU-Beitritt ausspricht, während die Politik verhaltener darauf reagiert. Um seinen Beitrittswillen zu belegen, wurden dem Land zwölf sogenannte ‚Hausaufgaben‘ auferlegt. Die Ukraine sieht ihren Kandidatenstatus als ein Zeichen der Solidarität, die Stipendiatin Olha Zubykweiß aber auch, dass ein schneller Beitritt nicht zu erwarten ist. Die Hoffnung liegt vor allem auf der Zeit nach dem Krieg, denn ein Wiederaufbau des Landes wird ohne europäische Solidarität nicht leistbar sein.

Fortgesetzt wurden die Diskussionen in Arbeitsgruppen, in denen anhand von Leitfragen geklärt werden sollte, wie die Teilnehmenden die EU verstehen und welche Erwartungen sie an die EU haben. In der Ergebnispräsentation stellten alle Gruppen klar, dass Europa größer ist als die EU und dass sich dies auch in der EU abbilden sollte, also eine klare Haltung zu einer Erweiterung der EU auf möglichst alle europäischen Länder. Ein weiterer Punkt, der vorgebracht wurde, betraf den Abbau von Bürokratie und Doppelstrukturen. Darüber hinaus sehen viele Seminar-Teilnehmende die EU auch als eine Organisation, die für die Sicherheit in Europa maßgeblich ist, was stärker betont werden müsse. Nebeneinander standen die Forderungen zur Entwicklung einer europäischen Identität und dem Erhalt der kulturellen Eigenständigkeit der Länder. Kritisch wurde es an dem Punkt, an dem gefordert wurde, dass die EU alle Nachbarländer und dort herrschende politische Situationen gleich behandeln sollte. Dies spielte vor allem auf die Reaktion der EU auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine und den Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan an. Wichtig war allen Beteiligten, dass die EU nicht nur mit den Regierungen arbeiten soll, sondern es wurde eine stärkere Bürgerbeteiligung gefordert, auch um damit Entscheidungen transparenter zu gestalten und ein besseres Bewusstsein für die EU in der Bevölkerung zu schaffen.

Bei einem Besuch im Europäischen Parlament wurde in der Führung deutlich, wie herausfordernd der Umgang mit der Sprachenvielfalt im Europäischen Parlament manchmal sein kann und welch große Leistung die Dolmetscher als Sprachmittler erbringen müssen, um den 24 gesprochenen Sprachen gerecht zu werden – vor allem dann, wenn es um die Sprachen der kleineren Länder (wie z. B. Ungarn oder Malta) geht und die Reden dann über verschiedene sprachliche Stationen übersetzt werden müssen. Das Beispiel der Sprachenvielfalt war exemplarisch für die Vielfalt der verschiedenen Kulturen und Meinungen, die im EU-Parlament vorhanden sind und vor deren Hintergrund eine gemeinsame Verständnisebene zur Vorbereitung einer Entscheidung gefunden werden muss.

Abgerundet wurde das Seminar mit einem von P. Thomas gestalteten Gottesdienst und morgendliche Meditationen, die von der Gruppe vorbereitet wurden.

Das Kennenlernen der Stadt Brüssel geschah im Rahmen einer Stadtführung und durch abendliche Exkursionen.

Insgesamt war es ein informatives und diskussionsreiches Seminar zu einem hoch aktuellen Thema. Die Teilnehmenden konnten eine Vielzahl an neuen Erfahrungen zum Thema Europäische Union sammeln.

 

Teilnehmende im Plenarsaal des Europa-Parlamentes

Die Gruppe im Plenarsaal des Europa-Parlamentes

Gruppenbild mit Marek Misak

Die Gruppe mit Marek Misak