KAAD-Alumni-Konferenz „Situation der Universitäten in Osteuropa“ in Georgien

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In Zusammenarbeit mit der Katholischen Sulkhan-Saba-Universität setzten sich 32 Teilnehmende aus acht Ländern am 24. und 25. Oktober 2024 in Tiflis mit den Entwicklungen und Herausforderungen auseinander, mit denen die osteuropäischen Universitäten im institutionellen Bereich sowie in Forschung und Lehre konfrontiert sind.

Neben 16 Teilnehmenden aus Georgien und acht aus Armenien waren auch Alumnae und Alumni aus der Slowakei, Ungarn, Polen, Litauen und der Republik Moldau vertreten. Nach einer Begrüßung durch den Vorsitzenden des georgischen Alumni-Vereins, Prof. Dr. Vaja Vardidze und dem Leiter des KAAD-Osteuropa-Referates, Markus Leimbach, wurde die Konferenz eröffnet.

Zunächst stellte Prof. Dr. Peter Varga von der Eötvös-Loránd-Universität Budapest die politische Lage in Ungarn vor. Ungarn reagiert empfindlich auf Einwirkungen von außen, besteht auf seiner Souveränität und Unabhängigkeit und gerät daher immer wieder mit der EU in Konflikt. Die universitäre Lage in Ungarn wird derzeit dadurch bestimmt, dass die staatlichen Universitäten in Stiftungen überführt werden – angeblich, um mehr Unabhängigkeit zu schaffen. Das Gegenteil ist der Fall: da die Kuratorien durch Politiker besetzt werden, vergrößert sich der Einfluss des Staates, denn die Kuratorien haben einen großen Einfluss auf die Besetzung der Lehrstühle. Die Vergabe hängt nicht nur von der wissenschaftlichen Qualifikation des Bewerbers oder der Bewerberin ab, sondern auch von seiner oder ihrer politischen Haltung.

Die armenische Germanistin Prof. Dr. Yelena Etaryan (Jerewaner Staatliche W. Brjussow-Universität für Sprachen und Sozialwissenschaften) ging in ihrem Vortrag auf die Universitätsentwicklung in ihrem Land ein.  Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus ihrem MBA-Studium in Speyer konstatierte sie, dass bei der Universitätsentwicklung in Armenien ein Fokus auf bildungsbenachteiligte Gruppen, die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) und Fremdsprachen gelegt werden und in der Lehre vermehrt auf die Entwicklung der Eigenständigkeit und des kritischen Denkens der Studierenden geachtet werden sollte. In Bezug auf die Finanzierung der Universitäten zeigte sie das Problem auf, dass die staatliche Förderung von der Anzahl der Studierenden anhängt, weshalb vielfach auch schlechtere Studierende mit durchgezogen werden, um den Finanzmittelfluss zu erhalten.

Dr. Oxana Chira, Leiterin des Lehrstuhls für Fremdsprachen an der Staatlichen Alecu-Russo-Universität Bălți in Moldau, stellte die Struktur der universitären Ausbildung in der Republik Moldau vor. Bei ca. vier Millionen Einwohnern gibt es 55.000 Studierende, davon 58 Prozent Frauen. Viele der Studiengänge werden mittlerweile auch auf Englisch und Russisch angeboten, wobei Russisch die zweite Amtssprache in der Republik Moldau ist. Die internationalen Studierenden kommen hauptsächlich aus der Ukraine und China. Aus China kommen die Studierenden auf Grund der geringen Lebenshaltungskosten.

Die These, dass Künstliche Intelligenz eine Herausforderung und Gefahr für die klassische universitäre Lehre sei, stellte Prof. Dr. Cezary Koscielniak von der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen in seinem Vortrag auf. Er erklärte, dass KI zu einer Mediatisierung der Lehre führe, deren Grundlage aber Texte seien, da nach Martin Heidegger der Mensch ein sprachliches Wesen sei. Ohne Texte hätten Gespräche und Gedanken keine Nachhaltigkeit, KI aber führe zu mehr Visualisierung. Für Polen sprach er noch an, dass die Geisteswissenschaften an Bedeutung verlieren, da diese als weniger wichtig für die Entwicklung der Gesellschaft und Wirtschaft angesehen werden.

Ein ähnliches Thema nahm der georgische Jurist Dr. Sergej Jorbenadze auf, indem er über die juristischen Auswirkungen im Urheberrecht bei dem Einsatz von ChatGPT sprach. Anhand eines durch ChatGPT geschriebenen Gedichtes zeigte er den Anerkennungsprozess beim Patentamt auf.

Ein ganz anderes Thema sprach Dr. Siranush Papoyan an. Die Armenierin stellte die Entwicklung des fiktiven Radiosenders „Radio Eriwan“ dar, der als eine Reaktion auf die sowjetische Herrschaft entstanden war. Durch die „Radio-Eriwan-Witze“ und deren Verbreitung sind begrenzte kulturelle, politische und persönliche Freiräume entstanden. Die Witze haben sich weit über den sowjetischen Einflussraum verbreitet.

Die slowakischen Germanistinnen Dr.  Stanislawa Galowa und Dr. Irena Grezowa berichteten über Innovationen an der Slowakischen Landwirtschaftlichen Universität Nitra. So wurde die Universität durch deren Rektorin – einer Landschaftsgärtnerin – begrünt und neue Forschungsbereiche eingeführt, darunter beispielsweise die Erforschung von alternativen Lebensmitteln, wie essbare Blüten oder Lindenfrüchte als Ersatz für Kakaobohnen oder Insekten als Proteinquelle. Auch im Fachsprachenunterricht in Deutsch wurden neue Lehrmethoden eingeführt und ein videounterstützter Sprachkurs entwickelt, um bessere Ergebnisse und eine höhere Akzeptanz für die Sprachkurse bei den Studierenden zu erreichen.

Auf die Änderungen in der Lehre ging auch Prof. Dr. Levan Tsagareli von der Staatlichen Ilia-Universität Tbilissi ein. Er wies darauf hin, dass sich die Funktion des Lehrenden dahingehend verändere, dass der Dozent zum Facilitator, also zum Helfer des Lernenden, werde und der Bereich des Lernens einen immer größeren Raum einnehme, also auch verstärkt partizipative und digitale Elemente in der Lehre eingesetzt werden müssten. Er plädierte dafür, neben dem klassischen Unterricht auch ergänzende Methoden, wie etwa Deep Learning, Blended Learning, Social Media und digitale Tools einzusetzen. Die Studierenden müssten zum selbständigen Lernen geführt werden und dieses dann im Klassenraum zur Diskussion gestellt werden. Er appellierte vor allem an die Lehrenden, für Änderungen bereit zu sein.

Dr. Nino Gogelia zeigte ergänzend auf, wie digitale Element (wie Deepl Write) im universitären Sprachunterricht als unterstützende Lernmethoden, z. B. auf Sprachlernplattformen, sinnvoll eigesetzt werden können.

Die georgischen Politikprofessorinnen Dr. Tina Dolidze und Dr. Irina Darchia gingen zunächst auf die Herausforderungen der kommenden Wahl und der notwendigen politischen Umbrüche in Georgien ein und insistierten, dass Hochschulen aus der politischen Kontrolle herausgehalten werden sollten. Für die Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten forderten sie die Unterstützung der Studierenden durch Stipendien und Studentenwohnheime sowie die verstärkte Förderung von bildungsbenachteiligten Gruppen. Insbesondere im Bereich der Promotionen drängten sie auf Veränderungen und die Anpassung der Promotionsordnungen. In Georgien erhalten die Universitäten Gelder für die Förderung von Bachelor- und Master-Studiengängen, aber nicht für Promotionsvorhaben. Diese werden derzeit von ausländischen Geldgebern, wie zum Beispiel dem Deutschen Akademischen Austauschdienst oder der Volkswagenstiftung, gefördert. Um aber die Promotionen in Georgien zu stärken und Anreize zu setzen, muss der Staat hier finanzielle Unterstützung leisten.

Die Konferenz zeigte deutlich, dass die Herausforderungen vor allem im institutionellen Bereich liegen. Neben dem verstärkten Einsatz neuer (digitaler) Lehrmethoden wird auch die Entwicklung vom traditionellen Frontalunterricht hin zu partizipativen Methoden, um die Beteiligung und Selbstständigkeit der Studierenden zu stärken, in den mittel- und osteuropäischen Staaten immer deutlicher.

Im Rahmen der Konferenz konnte auch die Netzwerkarbeit der KAAD-Alumni weiterentwickelt werden, die erste Früchte in mehreren Kooperationsvereinbarungen zwischen Germanistik-Lehrstühlen an Universitäten in Armenien und Ungarn trägt.