KAAD-Seminar „Denkmäler, Erinnerungskultur und Identität in Lateinamerika“ vom 07. bis zum 10.11.2022 in Münster

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Unter der Leitung von Renate Flügel, Referentin Lateinamerika und P. Thomas Eggensperger OP, geistlicher Beirat des KAAD, kamen vom 07. bis zum 10.11.2022 zwanzig Stipendiatinnen und Stipendiaten aus sieben Ländern Lateinamerikas in Münster zusammen, um sich mit Erinnerung, Erinnerungskultur und Identität in Lateinamerika zu beschäftigen.

Referentin und KAAD-AlumnaDr. Gladys Ayllón, die heute Dozentin an der Pontificia Universidad Católica del Perú (PUCP)in Lima ist, wählte mit ihrem Vortrag über die Konstruktion von Erinnerung einen pädagogisch sehr geschickten Einstieg in das Thema, indem sie jeden der Teilnehmenden in einer meditativen Arbeitseinheit zunächst an seine ganz persönlichen Erinnerungen heranführte. In vier Arbeitsgruppen wurden diese individuellen Bilder an Schlüsselereignisse der eigenen (nationalen) Geschichte in der Gruppe ausgetauscht und schließlich im Plenum vorgestellt. Durch diesen emotionalen Zugang wurde allen Teilnehmenden bewusst, wie sehr einerseits das persönliche Andenken immer auch in irgendeiner Weise mit der eigenen nationalen Vergangenheit verknüpft ist und dass jede Rückschau immer von der eigenen Erfahrungswelt ausgeht, wodurch es keine neutrale Erinnerung geben kann.

Andererseits wurde durch den intensiven Austausch in der Gruppe deutlich, wie wichtig es ist, die Erzählungen der Anderen zu hören, sich in den Anderen hineinzuversetzen und die eigene Perspektive zu wechseln, um vom anderen zu lernen und um ein Gespür für die Geschichte und das kollektive Gedächtnis zu bekommen, das immer vielschichtig ist.  

Am Beispiel der Statuen des Eroberers Sebastián deBelalcázar in Popayán und Cali, die von Vertreterinnen und Vertretern der indigenen Bevölkerung vernichtet wurden, beschäftigte sich der kolumbianische KAAD-Stipendiat Oscar ArmandoPerdomoCeballos, Promovend an der FU Berlin im Fach Mittelalterliche Geschichte, mit der Bedeutung von Denkmälern für die Erinnerungskultur eines Volkes. In einem simulierten Gerichtsprozess mussten die Teilnehmenden Partei ergreifen für Gegner oder Befürworter der Wiedererrichtung dieses Symbols der Eroberungsgeschichte Kolumbiens. Auch hier wurde deutlich, wie wichtig es ist, bei der Konstruktion des kollektiven Gedächtnisses und somit einer gemeinsamen Identität auch die Stimmen der indigenen Bevölkerung nicht zu vergessen.

Dank digitaler Zuschaltung hatten die Stipendiatinnen und Stipendiaten am Abend noch die Gelegenheit, sich dem Thema der Erinnerung aus guatemaltekischer Perspektive zu nähern. Die KAAD-AlumnaBrenda Yvone Pineda Morales gab einen Einblick in die erschreckende jüngste Geschichte Guatemalas und berichtete in diesem Zusammenhang aus ihrer Arbeit im Menschenrechtsbüro des Erzbistums Guatemala.

Der zweite Seminartag begann mit einer sehr anschaulichen Vorstellung des Museums Stiftung Haus der Geschichte (Bonn)durch Carolin Freitag. Sie konzentrierte sich auf ihre herausfordernde Aufgabe als Bildungsreferentin im Haus der Geschichte in Bonn, in dem sie die Themen Erinnerung und Geschichte ansprechend darstellt und pädagogisch aufbereitet. Hier ergaben sich interessante Gespräche u. a. über die Frage, nach welchen Kriterien welche Ausschnitte einer Erinnerungskultur gewählt und aus welcher Perspektive diese sichtbar gemacht werden können und sollten. Carolin Freitag machte den Teilnehmenden klar, dass – bei allen Bemühungen um Objektivität – absolute Neutralität in Museen nicht möglich ist.

Ein gemeinsamer Spaziergang entlang des Aasees führte die Gruppe schließlich in die geschichtsträchtige Altstadt von Münster, wo bei einer geführten Stadtbesichtigung rund um das Thema des westfälischen Friedens von 1648 noch einmal veranschaulicht wurde, wie sehr das kollektive Gedächtnis von Symbolen lebt und wie wichtig es ist, öffentliche Räume zu schaffen und Denkmäler zu erhalten, um diese erfahrbar zu machen.

Nach der Besichtigung des ‚Foucault’schen Pendels‘von Gerhard Richter in der Dominikanerkirche und der von der Künstlerin Billi Thanner in und an der Lambertikirche installierten Himmelsleiterendetet das offizielle Seminarprogramm mit einem sehr stimmungsvollen Gottesdienst in der Marienkapelle des St.-Paulus-Doms, zelebriert von  P. Prof. Dr. Thomas Eggensperger OP.

Die Teilnehmenden kehrten nach diesem sehr lebendigen und interaktiven Seminar in vielerlei Hinsicht bereichert an ihre Studienorte zurück: Sie konnten Einblicke in die nationale Vergangenheit vieler ihrer Nachbarländer bekommen und ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass Erinnerungskultur vielstimmig ist und mit Respekt und Partizipation immer wieder neu gedacht, gedeutet und gestaltet werden muss.