Dazu kamen Alumni und Alumnae aus Bosnien und Herzegowina, Albanien, Kroatien, Armenien und der Ukraine zusammen und setzten sich anhand von Vorträgen aus den Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften sowie der Architektur und gemeinsam mit Studierenden und Dozierenden des Germanistischen Instituts der Universität von Mostar mit dem Thema "Identitäten" auseinander. Maßgeblich organisiert wurde die Konferenz von Prof. Dr. Nikolina Pandza, die für das Partnergremium in Bosnien und Herzegowina verantwortlich ist.
Die Germanistin Siranush Papoyan von der Jerewaner Staatlichen W. Brjussow-Universität für Sprachen und Sozialwissenschaften sprach über das Konzept „Haus“ auf der phraseologischen Ebene im Deutschen und Armenischen. In dem Vortrag zeigte sie auf, dass sich in Wortfolgen mit der Komponente „Haus“ Sitten, Bräuche, Mentalität und Lebensphilosophie eines Volkes als kulturspezifische Phänomene verborgen halten.
Die Linguisten Oamir Misetic und lrina Budimir von der Universität von Mostar untersuchten die identitätsbildende Dimension von Sprache am Beispiel des Kroatischen in Bosnien und Herzegowina und die Notwendigkeit eines kroatischen Webkorpus, über das die bosnisch-herzegowinischen Kroaten nicht verfügen, das für die Muttersprachler aber ein wichtiges Identifikationsmittel darstellt. Es handelt sich hierbei um ein rein linguistisches Vorhaben um quantitative Untersuchungen in bih-Domain zu ermöglichen.
Die Dozentin für Germanistik von der Nationalen Pädagogischen Wolodymyr Hnatjuk-Universität Ternopil (TNPU), Nataliya Yashchyk, präsentierte ihre Forschung zur nationalen Identität im Kontext der pädagogischen Bildung. Im Frühjahr 2020 starteten die Pädagogische Hochschule Wien (PHW} und die Nationale Pädagogische Wolodymyr Hnatjuk-Universität Ternopil (TNPU) hierzu ein Forschungsprojekt mit dem Ziel, bestehende Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten bezüglich der Vorstellungen von angehenden Lehrkräften zur eigenen Heimat im Hinblick auf die Verhältnisse zwischen den Begriffen „Heimat und Europa" sowie „Heimat und Globalisierung" in Österreich und der Ukraine zu identifizieren. Die nationale Identität und Globalisierung stellen große Herausforderungen für die pädagogische Bildung und das Bildungssystem dar. Einerseits kann die Globalisierung dazu beitragen, nationale Identitäten durch den Austausch von kulturellen Werten und Ideen zu bereichern, andererseits kann sie die nationalen Identitäten beeinträchtigen und die Bewahrung nationaler Traditionen und kultureller Werte bedrohen. In diesem Zusammenhang spielt das Bildungssystem eine wichtige Rolle und bietet die Möglichkeit, Lernende sowohl mit der Kultur, Sprache, Literatur und Tradition ihres Heimatlandes als auch mit den kulturellen Werten anderer Nationen vertraut zu machen. Die Wahl der Identitäten sollte weder zu einem Kampf der Identitäten noch zu einem Kampf der Kulturen führen, sondern zur Erkennung der kulturellen Vielfalt der globalen Welt, in der sich Menschen und Nationen nicht nur als Teil ihrer lokalen Gesellschaften, sondern als Teil der gesamten Menschheit fühlen sollten. Nicht nur vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine führte Nataliya Yashchyk aus, dass es die Aufgabe der Bildungssysteme sei, künftige Bürger frei von Ideologien in einer friedlichen Welt zu erziehen.
Der Vortrag von Patricija Orlić von der Džemal Bijedić Universität Mostar zeigte Unterschiede im politischen Diskurs über Identitäten auf, die Patricia Orlic anhand einer Analyse von ausgewählten politischen Zeitungsartikel aus jeweils vier sowohl regionalen als auch überregionalen Zeitungen im Deutschen und Kroatischen identifizieren konnte. Während der Begriff „Identität“ in Deutschland im Rahmen der sogenannten Identitätspolitik (Migration, Grünenpolitik und Rechtsradikalismus) verwendet wird, wird er im Kroatischen inhaltlich mit dem EU-Eintritt, der Auswanderung und den politischen Wahlen in Zusammenhang gebracht. Außerdem wird das Wort „Identität“ im Kroatischen in politikbezogenen Kontexten nicht oft eingesetzt. Gemeinsamkeiten zwischen dem deutsch-kroatischen Gebrauch des Wortes Identität sind derzeit bei der Gender-Thematik und der diesbezüglichen Identitätsdiskussion zu verzeichnen.
Tomislav Zelic, Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik an der Universität Zadar, Kroatien, hinterfragte die Identitätspolitik in der Gegenwartsliteratur und deren ideologische und ästhetische Aspekte. Unter dem Titel „Ihr seid alle Individuen! Ihr seid alle verschieden!" – „Ich nicht." betrachtet er die Identitätspolitik von ihrer kulturwissenschaftlichen Seite.
Ein ganz anderes Thema nahm die albanische Architektin Edia Herri auf. Sie beschäftigte sich mit der Auswirkung der Architektur auf die Identität am Beispiel der Bauten aus den verschiedenen Epochen in der albanischen Hauptstadt Tirana. Politisch hat die Stadt viele Veränderungen durchgemacht, aber in architektonischer Hinsicht sieht es so aus, als hätte sie nie ihre Unabhängigkeit erlangt. Von der osmanischen Besatzung über das faschistische Italien bis hin zum Kommunismus wurde eine Geschichte zwischen den Menschen und ihrer Architektur geschaffen, die heute Teil des Erbes ist. Ein großer Teil des Problems beruht auf der Architektur der Macht. Derzeit fordert der langsame Übergang in die Demokratie seinen Tribut von den alten, nicht instand gehaltenen Gebäuden, während die Machthaber prachtvolle moderne Gebäude errichten, um Tirana als reiche und mächtige Stadt erscheinen zu lassen und damit den potentiellen EU-Beitritt zu bewerben – augenscheinlich auf Kosten ihres Erbes und ihrer Identität sowie des Vertrauens ihrer Bevölkerung.
Marija Grubesic, die als Deutschlehrerin an einer internationalen Schule in Mostar tätig ist, berichtete über ihre Beobachtungen, dass eine mehrfache Identität durch Mehrsprachigkeit entstehen kann. Personen, die mehrere Sprachen sprechen, verhalten sich je nach Sprache anders, Stimme und Tonlage verändern sich. Vor allem multilinguale Jugendliche würden im Gespräch häufig die Sprachen wechseln, je nachdem, was sie ausdrücken wollen.
Die serbische Journalistin Jelena Kisic präsentierte ein Buch, das neun Gespräche mit religiösen Führern aus den ehemaligen jugoslawischen Ländern enthält und die Bedeutung von Religion für den Frieden und die Versöhnung in post-konfliktreichen Gesellschaften beleuchtet. Die Interviewpartner – Muftis sowie katholische und orthodoxe christliche Bischöfe und Priester – erzählen darin von ihrem Leben, ihren ersten Erinnerungen und ihrer Kindheit, Erziehung und Bildung, den Grundlagen ihres Glaubens, wie ihre Beziehung zum anderen und zu Gott entstand, wie sie mit Leid umgegangen sind, wie sie auf den Krieg blicken und was Versöhnung und Vergebung für sie bedeuten. Auch wenn ihre Lebenswege, ihr Alter und ihr Bildungshorizont unterschiedlich sind, klammern sie sich nicht an verschiedene soziale Phänomene und Prozesse, wenn sie das kulturelle Gedächtnis diskutieren. Obwohl sich in dem Buch Nationalismus, Kommunismus, das Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit und zwischen nationaler und religiöser Identität widerspiegeln bleiben alle Gesprächspartner authentisch und widmen ihr Leben dem „Brückenbauen“.
Die Konferenz bot auch kulturelle Aktivitäten wie eine Führung durch die muslimisch geprägte Altstadt von Mostar mit der berühmten „Stari Most“, der alten Brücke. Eindrucksvoll war der Besuch des katholischen Wallfahrtsorts Medjugorje – trotz des schlechten Wetters war der Gottesdienst so gut besucht, dass eine Vielzahl der Gläubigen den Gottesdienst von draußen verfolgen mussten. Dies zeigt, welchen Zulauf der Wallfahrtsort hat.
Insgesamt bot die KAAD-Alumni-Konferenz den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine gute Möglichkeit, interdisziplinäre Perspektiven zu dem Thema Identität zu diskutieren und verschiedene kulturelle und wissenschaftliche Ansätze kennenzulernen, sich auszutauschen und zu vernetzen.
Während der Konferenz konnte der Leiter des Osteuropa-Referates, Markus Leimbach, in einem Interview mit dem Studierenden-Fernsehen die Arbeit des KAAD präsentieren.