Essen stellt weit mehr dar als die bloße Aufnahme von Nahrungsmitteln – so ließe sich das Seminar in einem zentralen Gedanken zusammenfassen. Rund um den Globus haben Migrantinnen und Migranten kulinarische Traditionen aus ihren Herkunftsländern in ihre neuen Lebenswelten übertragen. Was ursprünglich vor allem dazu diente, Landsleuten ein Gefühl von Heimat und Vertrautheit zu vermitteln, wurde im Laufe der Zeit zunehmend auch von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft als Ausdruck kultureller Vielfalt und als Projektionsfläche für Sehnsüchte nach dem Fremden oder Exotischen wahrgenommen.
Der kulturellen Bedeutung von heimischer und fremder Küche sowie der historischen Entwicklung der kulinarischen Prozesse für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen gingen die insgesamt 19 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus elf verschiedenen Ländern im Rahmen dieses Seminars und unter der Leitung von Dr. Anselm Feldmann auf den Grund. Dabei wurden Theorie und Praxis miteinander verbunden: durch gemeinsame Kochaktivitäten bereiteten die Teilnehmenden Gerichte aus ihren Herkunftsländern zu und ermöglichten so einen praxisnahen und sinnlich erfahrbaren Zugang zu den inhaltlichen Fragestellungen des Seminars.
Zunächst stellten die Teilnehmenden in einer Vorstellungsrunde jeweils ein für sie persönlich bedeutsames Gericht aus ihrer Herkunftskultur vor. In der anschließenden gemeinsamen Reflexion wurde deutlich, welch zentrale Rolle Essen im Prozess der Identitätsbildung spielt. Insbesondere familiäre, soziale und kulturelle Bindungen erwiesen sich als prägende Elemente, die über kulinarische Traditionen zum Ausdruck gebracht werden. Das gemeinschaftliche Kochen und Speisen stellt dabei nicht nur eine erfahrungsbasierte Bildungsdimension dar, sondern einen bedeutungsvollen Akt der Selbstvergewisserung und kulturellen Verortung. Das Nachkochen traditioneller Gerichte – allein oder im sozialen Miteinander – ermöglicht es, auch im Ausland ein Gefühl von Zugehörigkeit und Vertrautheit zu erleben. Dadurch kann die kulinarische Praxis einen Beitrag zur psychischen Stabilität leisten, indem sie emotionale Sicherheit bietet, Stress abbaut und dem Heimweh entgegenwirkt.
Das Motiv der Sehnsucht bildete auch den thematischen Schwerpunkt des Vortrags des Historikers Lars Amenda. Er zeigte anhand der Entwicklung der chinesischen Gastronomie in Deutschland auf, wie „China-Restaurants“ im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts die unterschiedlichen Projektionen und Bedürfnisse der deutschen Mehrheitsgesellschaft bedienten und immer noch bedienen. Während in den 1920er Jahren erstmalig ein chinesisches Restaurant in Hamburg schriftlich erwähnt wurde, das primär chinesische Seeleute mit Gerichten aus der Heimat versorgte, vollzog sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein Wandel hin zu gastronomischen Betrieben, die sich zunehmend an den Erwartungen und Vorstellungswelten der Aufnahmegesellschaft orientierten: In der Nachkriegszeit rückte insbesondere das Bedürfnis nach einer fremdkulturell konstruierten Andersartigkeit in den Vordergrund. Durch die Implementierung von asiatischen Restaurants wurde die Sehnsucht nach einem als ,exotisch‘ verstandenen China bedient. Die Inneneinrichtung solcher Lokale – versehen mit stilisierten, stereotyp chinesisch konnotierten Elementen – hatte die Funktion, eine symbolische Reise in ein romantisiertes China zu inszenieren. Diese Darstellungen trugen maßgeblich zur kollektiven Konstruktion eines spezifischen Chinabildes in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft bei. Dies zeigt sich auch in der verbreiteten Bezeichnung ‚China-Restaurant‘, die weniger die Authentizität der angebotenen Speisen betont, sondern vielmehr das Land China als Projektionsfläche kultureller Vorstellungen und Imaginationen in den Mittelpunkt rückt. In der anschließenden Diskussionsrunde wurden diese Zusammenhänge weiter vertieft, insbesondere im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen Authentizitätsansprüchen und den kulturell geprägten Erwartungshaltungen der Mehrheitsgesellschaft an die chinesische Küche und ihre Repräsentationsformen.
Am darauffolgenden Tag führte Petra C. Fujiwara in die historischen und kulturellen Kontexte der japanischen Gemeinschaft im Großraum Düsseldorf ein – einer der bedeutendsten japanischen Diasporastandorte Europas. Mit heute rund 15.000 japanischen Staatsangehörigen stellt die Region ein exemplarisches Beispiel für eine transnationale Migrationsbewegung dar, die wirtschaftlich motiviert war, sich jedoch über die Jahrzehnte hinweg auch kulturell und sozial tief in den urbanen Raum eingeschrieben hat. Die Entstehung dieser Gemeinschaft ist in die Nachkriegsphase einzuordnen, als japanische Unternehmen in einem von globaler Rekonstruktion geprägten Umfeld nach Impulsen für den Wiederaufbau der eigenen Industrie suchten. In diesem Zusammenhang erwies sich insbesondere die deutsche Stahlindustrie als Referenzpunkt, und Düsseldorf wurde zu einem strategischen Zentrum japanischer Wirtschaftsaktivitäten innerhalb der Bundesrepublik. Im Zuge der wirtschaftlichen Verankerung entwickelten sich rasch transnationale Infrastrukturen: Es entstanden japanische Restaurants, die nicht nur der Versorgung mit vertrauten Speisen dienten, sondern auch als soziale Orte der Erinnerung, Identitätsstiftung und kollektiven Selbstvergewisserung fungierten. Diese Institutionen wurden bald ergänzt durch Buchhandlungen, Teehäuser und Einrichtungsläden, die in ihrer Gesamtheit ein dichtes kulturelles Netz spannten – Ausdruck eines diasporischen Raumes, der von transnationalen Beziehungen ebenso geprägt ist wie von lokaler Verwurzelung. Der daraus entstandene Stadtteil wird von der Düsseldorfer Stadtgesellschaft liebevoll als „Little Tokio“ bezeichnet.
Eine Besonderheit des Seminars lag in der aktiven Mitgestaltung durch die Teilnehmenden selbst: In einem praxisorientierten Teil wurden gemeinsam Speisen aus verschiedenen Regionen Asiens und des Nahen Ostens zubereitet. Diese kulinarischen Beiträge eröffneten nicht nur einen sinnlich-konkreten Zugang zu den Themen des Seminars, sondern ermöglichten zugleich eine vertiefte Auseinandersetzung mit Fragen kultureller Identität, Zugehörigkeit und Erinnerung.
Das Katharinenkloster Angermund mit seiner benediktinischen Gemeinschaft bot hierfür einen geschützten und spirituell geprägten Raum. Die Gastfreundschaft der Benediktinerinnen trug dabei wesentlich zur besonderen Atmosphäre des Seminars bei: Die Zubereitung der Speisen, begleitet von fröhlichem Austausch und heiterem Miteinander, ließ Alltägliches zu einem Ort der Begegnung und des interkulturellen Dialogs werden. Selbst das gemeinsame Abspülen wurden als Momente geteilter Erfahrung und Gemeinschaft wahrgenommen.
Spirituell eingebettet wurde das Seminar durch das Morgenlob, Tischgebete und meditative Impulse, die die inhaltliche Arbeit in einen transzendenten Horizont stellten. Ein besonderer Höhepunkt war die von den Teilnehmenden gemeinsam mit unserem geistlichen Begleiter, P. Prof. Dr. Ulrich Engel OP, gestaltete Eucharistiefeier. In seiner Predigt hob er die zentrale Bedeutung des gemeinsamen Mahls für die christliche Glaubensgemeinschaft hervor: Es ist Ausdruck gelebter Communion, Zeichen der Teilhabe und Sinnbild der christlichen Nächstenliebe.
Vom ersten gemeinsam gekochten Gericht bis hin zum abschließenden Gottesdienst wurde spürbar: Essen ist weit mehr als bloße Nahrungsaufnahme. Es ist Träger biografischer Erinnerungen, Ausdruck kultureller Verwurzelung und ein Ort spirituell gelebter Gemeinschaft.
Fremde in der Heimat – Heimat in der Fremde: Asiatische Küche als Sehnsuchtsort
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Bei diesem Seminar, das vom 7. bis zum 10. April im Benediktinerinnenkloster Angermund stattfand, wurde deutlich: Essen ist Erinnerung, Identität und gelebte Gemeinschaft. Vom gemeinsam gekochten Gericht bis zur Messe rückte die kulturelle und spirituelle Tiefe gemeinsamer Mahlzeiten in den Mittelpunkt.