KAAD-Präsident Pater Dr. Hans Langendörfer SJ mahnte in seinen Eröffnungsworten zur Dringlichkeit bei der Bewältigung des Klimawandels: „Die Zukunft unseres Planeten gibt Anlass zu größter Sorge – und oft genug zu ganz vitaler Angst.“ Der Katholischen Kirche komme als weltumspannender Glaubensgemeinschaft mit Ressourcen vielfältiger Art in diesem Transformationsprozess eine besondere Bedeutung zu. Sie habe „in Papst Franziskus einen Mahner und Lehrer an der Spitze, der anpackt und sich nicht scheut, konkret zu werden“ – dafür sei dessen Enzyklika Laudato si‘, in der er dazu aufruft, „unser gemeinsames Haus zu schützen“, (LS 13) das beste Beispiel.
Auf diesen „kirchengeschichtlich bahnbrechenden Text“ verwies auch Prof. Dr. Adrian E. Beling in seinem Eröffnungsvortrag zur sozial-ökologischen Transformation und Klimagerechtigkeit aus katholischer Perspektive. Adrian Beling ist ehemaliger Stipendiat des KAAD, lehrt am Lateinamerikanischen Institut für Sozialwissenschaften (Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales) in Argentinien und hat zugleich den Canada Forschungslehrstuhl für das Fach „Übergang zur Nachhaltigkeit“ inne. Dass Fragen der globalen Verteilungsgerechtigkeit in diesem Transformationsprozess besonders in den Fokus rücken müssen, betonte auch Prof. Dr. Marian Asantewah Nkansah. Die ehemalige Stipendiatin ist Professorin für Chemie an der renommierten Kwame Nkrumah University of Science and Technology in Ghana und gilt als eine der führenden Wissenschaftlerinnen des afrikanischen Kontinents. Wie auch Papst Franziskus sieht sie besonders den Globalen Norden in der Verantwortung – nicht zuletzt mit Blick auf die Notwendigkeit, eigene Konsumgewohnheiten zu ändern.
Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger (Augsburg), Bischöflicher Beauftragter für den KAAD, betonte, dass „dem KAAD … angesichts der ökologischen Krise und der vielfältigen globalen Herausforderungen eine besondere Bedeutung zukomme, weil er mit seiner Arbeit eine ganzheitliche nachhaltige Entwicklung des Menschen anstrebt und mit der Förderung von Stipendiatinnen und Stipendiaten aus dem Globalen Süden die verschiedenen Regionen der Erde im Blick hat.“ So stellte auch KAAD-Generalsekretärin Dr. Nora Kalbarczyk heraus, dass sich „einer der Schwerpunkte des KAAD sowohl in der Stipendien- als auch in der Netzwerktätigkeit der Bewahrung der Schöpfung und der Gestlatung einer ganzheitlichen sozial-ökologischen Transformation widme“ und seine „Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie Alumni und Alumnae in unzähligen Forschungs- und Netzwerkeinrichtungen zu diesem Themenfeld engagieren. Zudem sei der KAAD Mitglied der päpstlichen Laudato si`-Aktionsplattform“. Vor diesem Hintergrund beschäftigten sich die fünf thematischen Foren der Jahresakademie am Freitagvormittag mit den verschiedenen Stellschrauben eines gelingenden Wandels, so z. B. mit der Transformation des globalen Energiesektors, der Wahrung der Biodiversität und Ernährungssicherheit, der Klimagerechtigkeit, der religiösen Bildung und der Frage nach einem nachhaltigen Wirtschaftssystem. Neben AntjeKathrin Schroeder, Abteilungsleiterin Politik und Globale Zukunftsfragen bei Misereor und weiteren Referentinnen und Referenten aus dem weltweiten KAAD-Netzwerk (u. a. aus Myanmar, Ghana, Tansania, Polen und Argentinien) brachte auch Prof. Dr. Joachim von Braun, Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, seine Expertise ein.
Das von Dr. Anselm Feldmann moderierte Forum 1 „Klimawandel? – Energiewandel! – Erneuerbare Energien gegen den Klimawandel“ betrachtete die Problematik des Klimawandels durch die Linse einer nachhaltigen Energieversorgung. Ziel des Forums war es, die besonderen Erfordernisse im Globalen Süden und Norden und deren Unterschiede herauszuarbeiten. Dazu gewannen der KAAD Dr. Christian Bußar von der Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen als Referenten. Zunächst gab er einen Überblick über die erneuerbaren Energien ab und verwies insbesondere auf die komplexen Probleme der Speicherung der Energie. Seinem Vortrag folgten Beiträge unserer Stipendiaten Willis Awandu (portable Wasserturbinen für entlegene Gegenden in Subsahara-Afrika) und Ba Htoo Thant, der die verschiedenen Möglichkeiten der Gewinnung von erneuerbaren Energien und ihrer Anwendbarkeit insbesondere im Globalen Süden vorstellte. Die Referate stellten den dringenden Handlungsbedarf heraus, wenngleich es bisher noch nicht auf alle Fragen auch Antworten gibt. Daher scheinen die simplen Antworten, insbesondere in Form der Solarenergie, zunächst die richtigen Lösungsansätze zu bieten, da sie relativ schnell, simpel und weitverbreitet umgesetzt werden könnten. Ein Problem stellt die Speicherung regenerativer Energien dar. Wind und Sonne sind keine beständige Energiequelle, sondern schwanken je nach Wetter und Jahreszeit. Pumpspeicher stellen hier die energieeffizienteste Weise der Speicherung dar, können allerdings nicht überall umgesetzt werden. Die Speicherung über Batterien erfordert allerdings Rohstoffe, die unter hohen sozialen und ökologischen Kosten meist im Globalen Süden gewonnen werden müsse. Daher besteht die Gefahr eines „Grünen Kolonialismus“. Dieser beschreibt die Gewinnung von Rohstoffen und Energie auf Kosten des Globalen Südens, um den Energiewandel in Globalen Norden zu lösen. „Grüner Wasserstoff“ könnte eines Tages Teil einer Lösung sein – bisher ist die Herstellung aber mit sehr großen Verlusten der eingesetzten Energie verbunden. Im Forum wurde aus diesem Grund darauf verwiesen, dass die Problematik der Speicherung von Energie eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Sozial- und Ingenieurswissenschaften erfordert um der komplexen Gemengelage gerecht zu werden und mögliche negative Auswirkungen im Globalen Süden zu minimieren und positive Effekte zu maximieren. So könnten kleine Lösungen – wie hydrokenetische Energieerzeugung in landwirtschaftlich geprägten Gebieten – sowohl den Zugang zu Strom und dementsprechend auch die Entwicklung fördern, als auch dazu beitragen, Emissionen durch die Nutzung von Feuerholz zu minimieren. Allerdings schaffen sie nicht die Voraussetzungen für die Versorgung mit nachhaltiger Energie in den immer weiter wachsenden Städten auch im Globalen Süden.
Das Forum 2: „Die Klimakrise und ihre Auswirkung auf Biodiversität und Ernährungssicherheit“ wurde von Ulrike Lohner vom Cusanuswerk moderiert und von Dr. Marko Kuhn seitens des KAAD begleitet. Der erste Referent war der international bekannte Agrarökonom Prof. Dr. Joachim von Braun, Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn sowie Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften ist. Die Schwerpunkte seiner Forschung und seiner wissenschaftlichen Arbeit sind die Agrarpolitik, die Ökonomie von Hungersnöten und die Analyse der Welternährung. Joachim von Braun stellte klar, dass die gegenwärtige Krise ein multidimensionale ist und dass der Kampf gegen den Hunger (,Food Action‘), der Kampf für das Klima (‚Climate Action‘) und für den Erhalt der Biodiversität (‚Biodiversity Action‘) nur zusammen gedacht werden können. In seinem Vortrag zeigte er die vielfältigen Verbindungen zwischen diesen drei Bereichen auf und wie sie durch kombinierte Maßnahmen realisiert werden müssen. Er zeigte auch das Missverhältnis zwischen der Erhöhung der landwirtschaftlichen Erträge durch künstliche Düngemittel und Pestizide/Herbizide auf der einen Seite dazu verhelfen, dass mehr Nahrung zur Verfügung steht, auf der anderen Seite aber die Nutzflächen zu ‚grünen Wüsten‘ werden, die das Artensterben beschleunigen. Bei der ‚Climate Action‘ kommt es Joachim von Braun zufolge darauf an, eine sogenannte ,Klima-Resilienz`aufzubauen, die auf drei Säulen ruhen muss: Minderung der Erderwärmung, Anpassung an die Folgen der Klimaveränderungen sowie Transformation der Gesellschaften und des Wirtschaftens. Dabei muss die Erwärmungskurve nach unten gebogen werden, was eine deutliche Reduzierung der Emissionen von CO2 und andere wärmespeichernde Schadstoffe bedeutet. Dafür werden naturbasierte Lösungen in den Ozeanen, die (Wieder-)Aufforstung der Mangrovenwälder und die Agroforstwirtschaft bei bewirtschaftetem Ackerland und Wäldern benötigt. Um die Transformation der Landwirtschaft kommt die Weltbevölkerung nicht herum, auch wenn dies gerade in Europa zu großen politischen Widerständen führt. Ebenso unabdingbar sei laut Joachim von Braun die Veränderung des individuellen Lebensstils sowie eine Transformation der Gesellschaft und der Ökosysteme. Die zweite Referentin war die tansanische Wissenschaftlerin Neema R. Kinabo, Lehrbeauftragte und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am College of African Wildlife Management, Mweka in Moshi/Tansania und Doktorandin am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt am Main. Auch sie zeigte auf, dass sowohl der Verlust der Biodiversität als auch der Klimawandel von wirtschaftlichen Aktivitäten und menschlicher Ressourcennutzung angetrieben werden und sich gegenseitig verstärken. Keines der beiden Probleme kann erfolgreich gelöst werden, wenn sie nicht gleichzeitig und gemeinsam angegangen werden. Ihre Forschung an Pollinatoren (Bestäubern) im Umfeld des Kilimanjaro zeigt dies sehr deutlich: Der Großteil der tansanischen Bevölkerung gehört zu den über drei Milliarden Menschen, die den negativen Effekten des Klimawandels relativ schutzlos ausgeliefert sind. Sowohl die Dialoge, die die Referentin in Tansania zu dem Thema führt als auch die Diskussionen, die in diesem Forum zustande kamen zeigen, wie viel Handlungsbedarf noch besteht, um die Zusammenhänge zwischen dem Verlust der Populationen von Wildbienen und dem Rückgang von landwirtschaftlichen Erträgen (bzw. von Nahrung, die in der Natur vorhanden ist) klar zu machen. Neema Kinabo zeigte auf, wie ihre Forschung dazu beiträgt, Sensibilisierung voranzubringen und die Kapazitäten in der Taxonomie bei Wildbienen auszubauen.
Forum 3, das seitens des KAADs von Nils Fischer moderiert wurde, beschäftigte sich in Form eines Workshops mit dem Thema „Klimagerechtigkeit – Herausforderung gemeinsamer, aber unterschiedlicher Verantwortung.“ Die Referentinnen Antje Kathrin Schroeder (Abteilungsleiterin Politik und Globale Zukunftsfragen, Bischöfliche Hilfswerk Misereor e. V.) und Hellen Mugo (Referentin für globale Klimagerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung, ebd.) setzten zunächst einen inhaltlichen Impuls zur Klimagerechtigkeit aus dem Blickwinkel der Förder-, Policy- und Netzwerkarbeit von Misereor. Danach erarbeiteten die 32 Teilnehmenden in Gruppen verschiedene Standpunkte und Zugänge vor dem Hintergrund ihrer akademischen Expertise und ihrer konkreten Erfahrungen aus ihren Heimatländern. Nach den Gesprächen in den Gruppen diskutierten die Teilnehmenden die Ergebnisse; dabei stellten sie heraus, dass mehr Klimagerechtigkeit bewirkt werden könne, wenn ein umfassender Dialog geführt werde, bei dem alle beteiligt seien. Insbesondere sei jedoch Führungsverantwortung gefragt, bei der Klimafragen prioritär gesetzt würden. Grundsätzlich müssten Menschenrechte konsequenter beachtet und geschützt werden, dazu gehöre auch die gerechte Verteilung der Verantwortung in Klimafragen. Am Beispiel der Tätigkeit von Misereor zeigten die Referentinnen, wie eine Institution des globalen Nordens sowohl in direkter Förderung in Projekten und als auch in weiterer Unterstützung im globalen Süden einen Beitrag zu mehr Klimagerechtigkeit leisten kann. Dabei zeigten sie indirekt auf, wie das Hilfswerk selbst die Gerechtigkeitsfrage in der Praxis umsetzt, indem es Fachleute aus der Förderregion beschäftigt, u. a. dadurch, dass Expertinnen und Experten aus den Förderregionen dort arbeiten. In der Abschlussdiskussion kritisierten die Teilnehmenden die Tendenz einer Bevormundung durch den globalen Norden – nicht nur in Fragen der Ökologie – und stellten fest, dass der Diskurs zur Klimagerechtigkeit weiterhin patriarchal und kolonialistisch geprägt ist, während die Industriestaaten des globalen Nordens als Hauptverursachende des menschenverursachten Klimawandels trotzt aller Debatten nicht zu einer gerechten Übernahme von Verantwortung bereit sind. Abschließend wurde das Abkommen von Paris (2015) diskutiert, bei dem die Länder des globalen Südens auf die Verantwortungsübernahme der Industriestaaten des globalen Nordens bestanden und ihre Forderungen durchsetzten. Letztlich muss nicht nur global, sondern regional, national und lokal in konkreten Projekten auf globale Zusammenarbeit und Gerechtigkeit hingewirkt werden.
Das von Dr. Thomas Krüggeler (KAAD) moderierte Forum 4 widmete sich unter dem Titel „‘It’s Our Future!‘: Junge Menschen, religiöse Bildung und Nachhaltigkeit“ dem Themenfeld der religiösen Bildung zur Nachhaltigkeit. Dr. Stefan Einsiedel, Leiter der Forschungsprojekte zur sozial-ökologischen Transformation an der Hochschule für Philosophie in München, hing seinen Vortrag an der Studie der Deutschen Bischofskonferenz „Wie sozial-ökologische Transformation gelingen kann“ auf, bei der er selbst als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ mitgewirkt hat. Zum Einstieg forderte er die Teilnehmenden auf, sich zu einigen Punkten klar zu positionieren: „Als Privatperson leiste ich einen guten Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation – Ja oder nein?“; „Ich befürworte strengere staatliche Regelungen bis hin zum Verbot von SUVs – Ja oder nein?“ etc. Stellungnahmen zu solchen Fragen provozierten unter den jungen Studierenden eine ernsthafte Reflexion über die eigene Lebensführung und ein zeitgemäßes Verständnis von individuellen Freiheitsrechten. Fundament der Transition muss nach Einschätzung des Referenten die Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Wohlstand sein. Da dieser Prozess sowohl Kosten (z. B. technische Innovationen) verursachen wird, muss er einhergehen mit substantiellem sozialen Ausgleich und internationaler Abstimmung. Er muss auch gestützt werden von einem Wertewandel (Gemeinwohl-orientiertes Handeln, Stärkung des Suffizienz-Ansatzes etc.). Mögliche Stellschrauben der Transformation liegen in der Schaffung eines Ordnungsrahmens, der fairen Verteilung von Zumutungen und Handlungschancen, der Förderung von Transparenz und Teilhabe und der Berücksichtigung der kulturellen Dimension des Wandels. Bei der Diskussion um diese Punkte ging Stefan Einsiedel sehr konkret auf die Rolle der Kirche als ,Change Agent´und ,Anwalt der Armen´ ein. Grundlagen dieser Anregungen und Handlungsperspektiven bietet die päpstliche Enzyklika Laudato si'. Beim Thema „Kirche als Change Agent“ stimmten Stefan Einsiedel und Prof. Dr. Adrian Beling überein. Der argentinische Sozialwissenschaftler bestand vehement darauf, dass Papst Franziskus mit der genannten Enzyklika den Menschen eine Schrift an die Hand gegeben habe, deren scharfe Analysen und klare Benennung der fundamentalen Herausforderungen der Umweltkrise die Kirche zu einem innovativen Akteur im Umgang mit dieser menschengemachten Notlage machen könne. Dazu müsse sie ihre Bemühungen verstärken, die Enzyklika intern noch bekannter zu machen, intensiver zu diskutieren und einer außerkirchlichen Öffentlichkeit nahezubringen. In Lateinamerika, so Adrian Beling, hat Laudato si‘ einen breiteren Diskussionsprozess nicht nur an katholischen Universitäten hervorgerufen. Die Enzyklika hat auch zur Etablierung von Strukturen geführt, die eine Grundlage für das Wirken als Multiplikator sein könnten. Er verwies u. a. auf das entstandene „Red Universitaria para el Cuidado de la Casa Común“. Diesem „Universitätsnetzwerk zum Schutz des gemeinsamen Hauses“ gehören mittlerweile 36 Hochschulen an, von denen nicht alle eine kirchliche Ausrichtung haben. Ebenso wichtig sind Studienprogramme, die sich mit Umweltfragen und der von Franziskus propagierten „integralen Ökologie“ beschäftigen. In diesem postgraduierte Kurs „Diplomatura Superior en Ecología Integral“, der bis vor kurzem an der katholischen Universität von Santa Fe (Universidad Católica de Santa Fe), Argentinien, angesiedelt war, sind auch zahlreich KAAD-Alumni als Dozenten involviert. Die Teilnehmenden des Forums wurden durch Referentenbeiträge und Diskussionsrunden darin bestärkt, dass sie als Christen und die Kirche als Institution sehr ernsthafte Beiträge zur Überwindung der Umweltkrise, die das ,gemeinsame Haus` in seiner Existenz gefährdet, leisten können.
Das Forum 5 stellte die Frage nach der Vereinbarkeit von wirtschaftlichem Wachstum und ökologischer Nachhaltigkeit und wurde von Markus Leimbach (KAAD) moderiert. Der erste Referent, Dr. Matthias Kranke, Fellow am Centre for Global Cooperation Researchdes Käte Hamburger Kollegs an der Universität Duisburg-Essen, stellte seinen Vortrag unter den Titel „Das gemeinsame Haus reparieren: Wachstum und/oder Nachhaltigkeit?“ Eine Mentimeter-Umfrage ergab, dass den Teilnehmenden sowohl das Wachstum (siebzig Prozent der Stimmen) als auch die Nachhaltigkeit (84 Prozent) wichtig sind. Mehr als die Hälfte der Gruppe war der Meinung, dass beide miteinander vereinbar seien. Um dies zu erreichen, benötige man, so der Referent, eine ökologische Ökonomie. Bedeutsam sei dabei vor allem, dass diese in das Ökosystem eingebunden sei und nicht darüber hinauswachsen dürfe. Grundsätzlich kam Matthias Kranke zu dem Schluss, dass Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit gleichermaßen möglich seien, forderte aber, dass es hierzu gesetzliche Regelungen geben müsse, da über die Wachstumsfrage nicht nur Ökonomen entscheiden dürfen, sondern dass diese politisch verhandelt werden muss, immer mit dem Blick auf die Nachhaltigkeit. Global gesehen führte er an, dass gegenwärtig vor allem die westliche Sicht im Fokus stehe und die gemeinsame globale Diskussion erst begonnen habe. Der zweite Referent, Prof. Dr. Cezary Kościelniak von der Adam-Mickiewicz-Universität Posen (Polen), stellte die Frage, welche Auswirkungen die Geschwindigkeit und die Kosten des Wandels auf die lokale Wirtschaft und Gesellschaft haben. Beispielhaft zeigte er auf, dass eine CO2-Besteuerung unweigerlich zu einer Erhöhung der Baukosten führe, welche die in Polen bestehende Wohnungsnot weiter verschärfen würde. Ein Verbot von Verbrennungsmotoren trägt insbesondere in den ärmeren ländlichen Gebieten zu einer weiteren Verarmung bei, da sich die einkommensschwächere Bevölkerung die Elektromobilität nicht leisten kann. Ein Verbot von Kohle führe zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit und sozialen Problemen in den Bergbaugebieten, da hier noch kein Transformationsprozess eingesetzt habe. Die stärkere Nutzung von Kernenergie sei dabei eine weitere Folge. Im Gegenzug gibt es in Polen Pläne, das Schienennetz der Eisenbahnen sowohl im Personen- wie auch im Güterverkehr auszubauen, wodurch nicht nur eine ökologische Verbesserung erzielt, sondern auch die Mobilität gefördert werde. Er sieht eine große Herausforderung darin, einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung herbeizuführen, da der ökologische Wandel noch sehr kritisch betrachtet wird, vor allem in Bezug auf die persönlichen Einschränkungen. In der Rezeption und Umsetzung der Aufforderung der Enzyklika Laudato Si sieht Kościelniak das Potential, einen Bewusstseinswandel im katholischen Polen herbeizuführen. In der darauf folgenden Diskussion ging es vor allem um die Umsetzung einer ökologischen Ökonomie und die Forderung an die Politik, Regelungen zur ökologischen Nachhaltigkeit zu treffen und einen Wandel im ökonomischen Denken herbeizuführen.
Im Anschluss an die Foren wurden deren Beiträge in einem von Generalsekretärin Dr. Nora Kalbarczyk moderierten Podiumsgespräch zusammengeführt und kontrovers diskutiert.
Das geistliche Programm der Jahresakademie brachte die Teilnehmenden zu morgendlichen Gottesdiensten und zu einer interreligiösen Begegnung im Gebet zusammen. Der Höhepunkt war der von KAAD-Präsident P. Dr. Hans Langendörfer SJ und den beiden geistlichen Beiräten des KAAD, P. Prof. Dr. Ulrich Engel OP und P. Prof. Dr. Thomas Eggensperger OP zelebrierte internationale Festgottesdienst, bei der sich die verschiedenen Regionalgruppen mit Gesängen und Gebeten in ihren Muttersprachen einbrachten.
Einen weiteren Höhepunkt stellte die Verleihung des Preises der KAAD-Stiftung Peter Hünermann für das Jahr 2023 an den indischen Germanisten und Philosophen Prof. Dr. Babu Thaliath dar. Der KAAD- Alumnus wurde in einem feierlichen Festakt im Rahmen eines Konzerts der vom KAAD geförderten Musikerinnen und Musiker für seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen an der Schnittstelle zwischen Germanistik und Philosophie ausgezeichnet. Babu Thaliath ist Professor für Germanistik und Philosophie an der Jawaharlal Nehru University, Neu-Delhi.
Zum ersten Mal fand im Rahmen dieser Jahresakademie ein Forum für Stipendiatinnen statt, das der Besprechung eigener Vernetzungsmöglichkeiten sowie spezifischer weiblicher Problemlagen diente. Dieses Forum wird an anderer Stelle außerhalb des Rahmens der Jahresakademie fortgeführt.
Die Fachgruppentreffen zu den Themen Wasser, Sprache(n), Globale Gesundheit, Frieden und Gerechtigkeit sowie Religion im Dialog fanden in diesem Jahr vor der eigentlichen Eröffnung der Jahresakademie statt.
Die Jahresakademie zum 65. jährigen Bestehen des KAAD hat, so kann resümiert werden, die Zukunftsfragen der Menschheitsfamilie thematisiert und gleichzeitig einen Beitrag zu dem geleistet, was die KAAD-Satzung mit dem Begriff der Völkerverständigung beschreibt.