KAAD-Seminar „Study Experiences in Jordan and in Germany“

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Ein Vergleich der Studienerfahrungen zwischen Jordanien und Deutschland diente als Thema für ein Seminar, das am 18.11.2022 in Amman stattfand und für unsere Geförderten in Jordanien von Nils Fischer, Leiter des Referats Naher und Mittlerer Osten, organisiert wurde.

Zu Beginn des Seminars stellten die acht Teilnehmenden ihre positiven und negativen Studienerfahrungen in Jordanien zusammen, bevor sie im Austausch über diese Erfahrung feststellten, dass ihre individuellen negativen Erfahrungen überwogen und sie die größte Herausforderung im Studium darin sehen, einen guten Umgang mit dem Negativen zu finden und Hindernisse zu überwinden. Diese Hindernisse bestehen u. a. darin, dass Studierende weder in der Schule noch im Grundstudium auf das Forschen vorbereitet werden. „Die Dozenten erwarten von uns, dass wir als fertige Forscher ins Studium kommen“, so ein Teilnehmer.

Weitere Hindernisse lägen in der schlechten Ausstattung der Hochschulen, sodass beispielsweise notwendige Anwendungen im Labor nicht durchgeführt werden könnten. Auch der Zugriff auf aktuelle Forschungsliteratur sei sehr begrenzt und Kurse häufig so überfüllt, dass eine gute Betreuung der Studierenden durch die Lehrenden nicht möglich sei.

Im weiteren Verlauf des Seminars erarbeiteten die Teilnehmenden auf der Grundlage der zusammengetragenen Erfahrungen Empfehlungen für die Verbesserung des Hochschulstudiums in Jordanien. Dabei priorisierten sie:

  1. Eine individuelle und auf die jeweiligen Fähigkeiten und das akademische Niveau angepasste Einführung von ‚Soft Skills‘ und ‚Research Skills‘ direkt im ersten Studienjahr und die Vermittlung derselben durch studentische Tutoren, die zu diesem Zwecke an der Universität angestellt werden
  2. die Lehre von ‚Communication Skills‘ im ersten Studienjahr
  3. Hilfe und Orientierung bei der Wahl des Themas der Abschlussarbeit schon im ersten Studienjahr
  4. eine Einführung moderner Lehrmethoden für Lehrende, vor allem für die Betreuenden von Master-Studierenden
  5. die Schaffung eines Unterstützungsprogramms für die Forschung sowie für Konfliktlösungen, wenn es zu Problemen von Studierenden mit Lehrenden und Betreuenden kommt
  6. die Anstellung von Studierenden, um die ‚Soft Skills‘ und ‚Research Skills‘ an Hochschulen zu lehren (siehe Punkt 1)
  7. die Integration von Theorie und Praxis im Studium, insbesondere durch die Analyse und Diskussion von praxisnahen Fallbeispielen (‚Case Studies‘)
  8. einen kostenlosen Zugang zu wissenschaftlicher Literatur
  9. die Unterstützung eines Austausch von Studierenden auf internationaler Ebene durch die Universität und die Lehrenden
  10. Trainings und Zertifikate für alle Lehrende
  11. Einstellung von Lehrpersonal nach charakterlicher Prüfung bzw. Eignung
  12. die Einführung junger Studierender und Lehrender in die Ethik der Lehre
  13. die Bereitstellung materieller und finanzieller Ressourcen für Studierende, sodass sie forschen können
  14. die Verfügbarmachung zusätzlicher Online-Lehrangebote
  15. Übernahme von Verantwortung für Ethik in der Lehre durch das Lehrpersonal

Vor dem Hintergrund dieser Vorschläge wurden die Empfehlungen diskutiert, die die Teilnehmenden des KAAD-Seminars „Bildung im Nahen Osten – aktuelle Situation und Zukunftsperspektiven“ in Odenthal (16. bis 19. August 2022) gefasst hatten. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieses Seminares dargestellt und von den Stipendiatinnen und Stipendiaten in Jordanien kommentiert:

  1. Freier Zugang für alle Menschen zu Bildung und verpflichtende Grundschulbildung (‚primary education‘): Hier waren die jordanischen Geförderten in Bezug auf die Hochschulen der gleichen Meinung; in Bezug auf die allgemeine schulische Bildung betonten sie, dass diese in Jordanien bereits kostenlos und auf einem guten Niveau gegeben sei.
  2. Neue Bildungskonzepte mit einem Fokus auf Methoden, ‚Soft Skills‘ und kritischem Denken: Hier stimmten sie zu und berücksichtigten diesen Punkt in ihren Empfehlungen ausdrücklich.
  3. Verringerung der Diskrepanz hinsichtlich der Qualität der Lehre zwischen öffentlichen und privaten Universitäten: Diese Diskrepanz sahen sie in Jordanien in Bezug auf die Hochschulen nicht, sondern nur in Bezug auf die primäre Bildung und dies in ganz erheblicher Weise, da in Jordanien internationale und regionale private Schulen exzellent bzw. sehr gut sind, staatliche Schulen  hingegen deutlich schlechter. Bei den Universitäten sahen sie den Unterschied nur im Renommee, jedoch nicht in der Praxis.
  4. Verpflichtende Schulung von Lehrpersonen in modernen Lehr- und Lernmethoden: Mit Nachdruck bejahten die Teilnehmenden diesen Punkt.
  5. Die ‚Best Practice‘ aus anderen Staaten und zwar nicht allein in Hinblick auf die Staaten des globalen Nordens, sondern insbesondere vergleichbare Staaten des globalen Südens, wie beispielsweise Vietnam, konsequent umsetzen und nationale Bildungsziele (‚Education Policy‘) regelmäßig evaluieren: Auch hier waren sie einer Meinung und wiesen auf die Notwendigkeit konsequenten Handelns in der Bildungspolitik hin.
  6. Ethik und Ethos der Bildung verbessern: Auch dieser Punkt fand breite Zustimmung.

Nach Beendigung dieser Ausarbeitungen und Diskussionen konnte Nils Fischer den KAAD-Absolventinnen und Absolventen ihre Stipendien-Urkunden überreichen. Das Seminar endete mit einer Einladung vom Jesuit Refugee Service Jordan, um gemeinsam den 42. Jahrestags der Institution zu feiern.