Die Öffentliche Gesundheit ist ein zentrales Thema der Entwicklungsarbeit im Nahen Osten mit großer lokaler und regionaler Bedeutung, denn staatliche Ressourcen für Gesundheitsschutz und -versorgung sind begrenzt und werden daher oftmals mit internationaler Unterstützung realisiert. Darüber hinaus stehen Prävention, Gesundheitserziehung und -förderung meist im Spannungsfeld unterschiedlicher Gerechtigkeits- und Selbstbestimmungsvorstellungen und führen auch in religiösen Kontexten zu Debatten. Der KAAD fördert vor diesem Hintergrund Studierende aus medizinischen und gesundheitswissenschaftlichen Fachbereichen wie ,International Healthʼ und ,Public Healthʼ. Zahlreiche Alumnae und Alumni des KAAD forschen zu medizin- und bioethischen Fragen oder arbeiten in der Praxis, beispielsweise im Management von Gesundheits- und Ernährungsprogrammen. In Kairo selbst wirken sie in Gesundheitseinrichtungen oder engagieren sich in Armenvierteln für Menschen, die kaum Zugang zu Gesundheitsleistungen haben. „Der Input, den die KAAD-Alumni als Change Agents für die Gesellschaft leisten, ist überwältigend“, so Weihbischof Losinger.
Unsere diesjährige Auslandsakademie, die wir gemeinsam mit dem DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) in Kairo durchgeführt haben und an der 29 Teilnehmende aus sechs Ländern (Ägypten, Jemen, Jordanien, Libanon, den Palästinensischen Gebieten und Deutschland) teilgenommen haben, setzte sich mit Fragen der Öffentlichen Gesundheit und ihren ethischen Grundlagen aus interreligiöser Perspektive auseinander.
Im Rahmen der Eröffnung der Akademie betonte Lorena Mohr, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Protokoll der Deutschen Botschaft in Kairo, den besonderen Wert der Arbeit von Stipendieninstitutionen wie dem KAAD oder dem DAAD und stellte die Bedeutung der länderübergreifenden Zusammenarbeit des wissenschaftlichen Austauschs im Allgemeinen und im Bereich der Öffentlichen Gesundheit im Besonderen heraus. Die persönliche Begegnung und die Zusammenarbeit sei gerade in diesen Zeiten wichtig. Diesen Aspekt führte auch KAAD-Generalsekretärin Dr. Nora Kalbarczyk in ihrem Grußwort weiter aus – führe doch der Austausch zu einem besseren Verständnis des jeweiligen Gastlandes sowie zu länderübergreifenden Freundschaften und Netzwerken.
KAAD-Präsident P. Dr. Hans Langendörfer SJ betonte in seiner Eröffnungsansprache, dass ein „grundsätzliches Nachdenken darüber, was Menschen in den verschiedenen Lebensphasen brauchen und was unsere Religionen zu den Grundfragen des Lebens, zum Lebensanfang, zum Lebensende und zu Krankheit und Gesundheit im Allgemeinen zu sagen haben“, notwendig sei, denn „in vielen Fällen beeinflussen sie stark, woran wir glauben und wofür wir stehen, weshalb ethische Überlegungen wichtig sind.“
In seinem Vortrag „Ethische Ansätze im Gesundheitswesen aus deutscher und europäischer Sicht“ gab Prof. Dr. Walter Bruchhausen (Institut für Hygiene und Public Health des Universitätsklinikums Bonn sowie Mitglied des Akademischen Ausschusses des KAAD) zunächst einen Überblick über das deutsche Krankenversicherungssystem und stellte ethische Probleme wie beispielsweise die Über- oder Unterversorgung von privat oder gesetzlich Versicherten, die steigende Zahl Nicht-Versicherter oder die Überlegungen über die Einbeziehung eines gesundheitsschädlichen Lebenswandels der Patientinnen und Patienten in das Krankenversicherungssystem dar.
Auf die Perspektive Ägyptens und des Mittleren Ostensging Dr. Fekri Dureab (WHO Regional Office for the Eastern Mediterranean, Departement of Noncommunicable Diseases and Mental Health, Kairo) ein. Er zeigte in seinem Vortrag, dass Herausforderungen wie politische Instabilitäten, Konflikte und ein zu starkes Bevölkerungswachstum in der Region zu chronischen und psychischen Krankheiten führen. Die Unterschiede zwischen reichen und armen Ländern in der Region und die daraus folgenden Konsequenzen verdeutlichte er anhand von Beispielen aus dem Bereich der Gesundheitsversorgung in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar, wo die einheimische Bevölkerung kostenlosen Zugang zu Gesundheitsleistungen hat und wo in den letzten Jahren enorme medizinische Fortschritte, beispielsweise im Bereich der Krebsforschung, erzielt wurden. Als Gegenbeispiel dafür nannte er den Jemen, wo das Gesundheitssystem durch kriegerische Konflikte nur unzureichend oder gar nicht funktioniert und notwendiges medizinisches Equipment fehlt oder nicht einsetzbar ist, weil beispielweise Ersatzteile fehlen. Die Konsequenzen sind Krankheitsausbrüche wie Cholera, Mangelernährung oder fehlende Geburtshilfe und pädiatrische Behandlungsmöglichkeiten. Auch auf die Unterschiede in der Versorgung von Einheimischen, Migranten und Flüchtlingen in Saudi-Arabien, das Ungleichgewicht in der Versorgung von ländlicher und städtischer Bevölkerung im Iran oder das Zweiklassen-Krankenversorgungssystem in Jordanien ging Fekri Dureab ein.
Über das christliche Engagement im öffentlichen Gesundheitswesen sprach Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger (Augsburg), Bischöflicher Beauftragter für den KAAD. Er betonte, dass die Kirche „seit jeher praktisch und im ethischen Diskurs für Gerechtigkeit und Gleichheit eintritt“ und sich „das große Engagement der Kirche im Gesundheitswesen“ darin zeigt, „dass ihre Einrichtungen allen Menschen offenstehen und sie alle Menschen in gleicher Weise behandelt“. Er ging auf den umfassenden Schutz des menschlichen Lebens ein, der für die Kirche zentral ist und sich auch auf die Embryonenforschung und Schwangerschaftsabbrüche bezieht. Lebensschutz bedeutet für die Kirche und damit auch für die Christinnen und Christen, dass Hilfsbedürftigen, Schwachen und Kranken bedingungslos geholfen wird. Auch auf das Sterben als „unabwendbaren Teil der menschlichen Existenz“, die Ablehnung der Sterbehilfe sowie die kritische Auseinandersetzung mit der Organspende nahm Weihbischof Losinger Bezug und betonte, dass christliche Repräsentantinnen und Repräsentanten im Gesundheitswesen mit ihrem Fachwissen und ihren ethischen Überzeugungen in vielen gesamtgesellschaftlichen Institutionen vertreten sind, zum Beispiel in Ethikräten, Krankenhausethikkomitees, staatlichen und auch lokalen Kommissionen.
Dr. Yasmin Shafei (Center for Economic, Legal and Social Studies and Documentation, Kairo) stellte die muslimischen Perspektiven auf die Öffentliche Gesundheit in Ägypten in den Mittelpunkt ihres Vortrags. Sie ging zunächst auf die Geschichte der Krankenpflege und -versorgung in Ägypten ein und schilderte den Wechsel von einer ganzheitlichen Versorgung im Mittelalter bis zur Neuzeit (Mitte 19. Jahrhundert), in der zwischen Armen und Reichen bei der Behandlung im traditionellen Krankenhaus (,Bimaristanʼ) nicht unterschieden wurde. Die Hilfe für mittellose Kranke ging so weit, dass sie mit Geld versorgt wurden, wenn sie arbeitsunfähig aus dem Krankenhaus entlassen wurden, um ihnen Ruhe und Zeit für eine gute Rekonvaleszenz zu ermöglichen. Die Krankenhäuser lagen in der Mitte der Stadt, sodass sie leicht erreichbar und ein lebendiger Teil der Stadt waren. In der Zeit der Erneuerung führte die königliche Regierung eine Krankenversorgung nach europäischem Beispiel ein. Eine Folge war beispielsweise, dass Krankenhäuser am Rand der Stadt gebaut wurden. Mit dem Kolonialismus und dem englischen Protektorat wurde das Konzept der europäischen Krankenhäuser weitergeführt: Beispielhaft für die Herauslösung der Krankenhäuser und der Kranken aus dem städtischen Leben ist der Umgang mit psychisch Kranken, die in entsprechenden Anstalten weg- und eingesperrt wurden.
Über die Inhalte der Vorträge diskutierten die Teilnehmenden anschließend mit den Referenten bzw. der Referentin in vier Workshops und bereicherten die Abschlussdiskussion mit persönlichen Blicken auf das Thema der Öffentlichen Gesundheit.
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