Das KAAD-Seminar, das vom 20. bis zum 23. Februar in der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen stattfand, nahm daher den Rassismus als gesellschaftsstrukturierendes System in den Blick und setzte sich damit auseinander, wie Rassismus auf individueller und kollektiver Ebene wirkt. Durch das Kennenlernen verschiedener Perspektiven wollte das Seminar die Studierenden für dieses Thema sensibilisieren, ihre Sprechfähigkeit fördern und gemeinsam – anhand von Erfahrungsberichten und praktischen Hinweisen – Handlungsmöglichkeiten erschließen. Das Seminar, das von Dr. Laura Büttgen von der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen sowie von Dr. Marko Kuhn und Miriam Rossmerkel aus dem Afrika-Referat des KAAD geleitet und spirituell von Dr. Stefan Voges aus dem Bistum Aachen begleitet wurde, bot einen gemischten Raum an, in dem sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten mit unterschiedlichen Leveln an Rassismuserfahrung diskriminierungssensibel und wertschätzend begegnen konnten. Dabei wurden auch Resilienz, Wehrhaftigkeit und psychische Gesundheit von rassifizierten Personen besprochen sowie ein permanent zugänglicher ,Safer Space‘ mit rassismus-sensibler psychologischer Begleitung angeboten. Als Referentinnen sprachen die Antirassismus-Trainerin Jinan Dib und Rose Kapuya (Praxis KraftFarben, Aachen). Einen Workshop zum ressourcenorientierten Lernen zu Rassismus boten Tobias Spiegelberg und Fabian Ceska von Detox Identity an.
Im Folgenden reflektiert der KAAD-Stipendiat Bereket Mamo Gebremeskel seine Eindrücke:
„Trotz meines anspruchsvollen Arbeitsplans im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich die bewusste Entscheidung getroffen, am KAAD-Seminar „Rassismus besprechbar machen“ teilzunehmen. Mir war bewusst, wie wichtig es ist, sich mit dem Thema Rassismus auseinanderzusetzen, insbesondere angesichts der tiefgreifenden Auswirkungen, die er auf Einzelpersonen und Gesellschaften hat. Die Dringlichkeit, das Thema Rassismus anzusprechen, überwog meinen Zeitmangel, und ich fühlte mich verpflichtet, zu dieser wichtigen Diskussion beizutragen und daraus zu lernen.
Die Teilnahme am Seminar war für mich äußerst bereichernd. Die Diskussionen und Einsichten, die sowohl von den Referentinnen als auch von den Teilnehmenden geteilt wurden, erweiterten mein Verständnis darüber, wie tief Rassismus in den Alltag eindringt. Von kleinen sozialen Kreisen bis hin zu institutionellen Strukturen wurde mir deutlich, wie stark Rassismus die Betroffenen beeinflusst – oft auf eine Weise, die für diejenigen, die ihn nicht selbst erleben, unsichtbar bleibt. Erfahrungsberichte betroffener Personen verdeutlichten, dass es bei Rassismus nicht nur um offene Diskriminierung geht, sondern auch um Mikroaggressionen und systemische Ungleichheiten, die in vielen Bereichen des Lebens fortbestehen.
Die Referentinnen und Referenten brachten spannende und zum Nachdenken anregende Themen ein, indem sie historische und soziologische Perspektiven auf Rassismus erläuterten. Sie zeigten auf, wie sich Rassismus sowohl offen als auch subtil von offensichtlicher Diskriminierung bis hin zu scheinbar harmlosen Stereotypen manifestiert. Besonders augenöffnend war die Diskussion über das Konzept des „positiven Rassismus“, bei dem bestimmten ethnischen Gruppen vermeintlich natürliche Talente in Bereichen wie Sport oder Wissenschaft zugeschrieben werden. Solche Stereotypen wirken jedoch ebenso einschränkend, da sie Individuen auf vorgefasste Vorstellungen reduzieren und ihre persönliche Entscheidungsfreiheit begrenzen.
Eine der größten Herausforderungen des Seminars bestand darin, Gespräche über ein so sensibles Thema zu führen. Diskussionen über Rassismus sind oft von starken Emotionen geprägt, was es schwierig macht, sie ohne Spannungen zu führen. Doch mir wurde klar, dass Mut entscheidend ist, um das Schweigen zu brechen und die Tabus rund um das Thema Rassismus aufzulösen. Während Mut notwendig ist, muss er von Liebe und Respekt begleitet werden, um einen sinnvollen und konstruktiven Dialog zu ermöglichen. Mit Empathie an solche Gespräche heranzugehen, schafft einen Raum, in dem sich Menschen sicher fühlen, ihre Erfahrungen und Perspektiven zu teilen.
Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dass rassistische Handlungen nicht immer absichtlich geschehen. Menschen können unbewusst rassistisch handeln, beeinflusst durch tief verwurzelte gesellschaftliche Vorurteile. Zudem profitieren selbst diejenigen, die sich als nicht-rassistisch betrachten, oft unbewusst von strukturellen Privilegien, die durch Rassismus entstanden sind. Das Anerkennen dieser Privilegien ist ein wesentlicher Schritt zur Überwindung unterdrückerischer Systeme und zur Förderung echter Gleichberechtigung.
Während Diskussionen und Sensibilisierungskampagnen von großer Bedeutung sind, hat die Geschichte gezeigt, dass echter Wandel oft mehr erfordert als Dialoge und diplomatische Maßnahmen. Bewegungen wie die Abschaffung der Sklaverei, die Bürgerrechtsbewegung, der antikoloniale Widerstand und die feministische Bewegung erzielten ihre Erfolge durch beharrlichen und oft schmerzhaften Kampf – von Straßenprotesten bis hin zu bewaffnetem Widerstand. Gleichzeitig bietet die Geschichte aber auch inspirierende Beispiele für kraftvollen gewaltfreien Widerstand, etwa durch die Strategien von Mahatma Gandhi, Martin Luther King Jr. und Nelson Mandela. Diese Persönlichkeiten haben bewiesen, dass tiefgreifender Wandel auch durch friedliche Mittel erreicht werden kann. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit von Handlungen sei es durch Aktivismus, Bildung, politische Reformen oder gewaltlosen Widerstand als Ergänzung zu offenen Diskussionen.
Trotz all dieser Herausforderungen ist es entscheidend, den Optimismus in der Auseinandersetzung für eine gerechte und nicht-rassistische Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Der Glaube an die Möglichkeit des Wandels trägt dazu bei, die Normalisierung von Rassismus im Alltag zu unterbinden. Doch dies wirft tiefgreifende Fragen auf: Wird Rassismus jemals vollständig überwunden sein? Wird es eine Zeit geben, in der alle Menschen mit gleicher Würde und Respekt behandelt werden? Vielleicht ja, vielleicht nein. Doch eines ist sicher: Die Fortsetzung des Dialogs und das aktive Handeln bleiben unsere gemeinsame Verantwortung."
Reflexion eines Stipendiaten zum KAAD-Seminar „Rassismus besprechbar machen“
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Viele internationale Studierende erfahren in ihrem Alltag in Deutschland rassistische Diskriminierung. Auch wenn rassistisches Denken heutzutage meist weniger offen sichtbar ist, ist diese spezifische Diskriminierungsform strukturell tief im alltäglichen gesellschaftlichen und kulturellen Leben verankert.