Innerhalb der verschiedenen Kulturen gibt es also nicht nur unterschiedliche Glaubensinhalte, etwa je nach der an einem Ort vorherrschenden Religion, sondern auch unterschiedliche Arten der Spiritualität, die sich wiederum auf die Glaubensinhalte auswirken. In Asien ist – so die allgemeine Vorstellung – die religiöse Zeremonie beispielsweise vornehmlich ruhig und meditativ geprägt, was auf die buddhistische und hinduistische Lehre der Leidenschaftslosigkeit zurückzuführen ist. In Afrika und Lateinamerika hingegen werden Gebete und Gesänge oft als sehr lebendig und leidenschaftlich wahrgenommen. Anstelle der deutschen Redewendung „andere Länder, andere Sitten“ sollte in diesem KAAD-Seminar erarbeitet werden, wie dieses alte Sprichwort umgewandelt werden könnte in „andere Kulturen, andere Frömmigkeiten.“
Ursprünglich war das Seminar im Rahmen des „Ökumenischen Kirchentags“ (ÖKT) in Frankfurt geplant. So sollte die KAAD-Gruppe neben den Programmpunkten zum Thema „Frömmigkeit interkulturell“ auch Veranstaltungen im weltkirchlichen Kontext besuchen und danach die diskutierten Themen und Probleme in der Gruppe reflektieren.
Durch den Ausfall des präsentischen ÖKT und bedingt durch die anhaltend strikten Hygienemaßnahmen aufgrund von COVID-19 wurde das Seminar, an dem 28 Stipendiaten/innen aller Disziplinen aus 19 Herkunftsländern teilnahmen, in den virtuellen Raum verlegt. An zwei Tagen, dem 13. und 14.05.2021, fanden Vorträge, Diskussionen und Gruppenarbeiten zum Thema „Frömmigkeit interkulturell“ statt.
Die KAAD-Stipendiatinnen und Stipendiaten befinden sich zumeist in einer Situation der (temporären) Migration. Um auch in dieser Lage ihre jeweils bevorzugten Formen der Frömmigkeit zu finden und leben zu können, suchen viele von ihnen auch in der Gastgesellschaft Mitglieder ihrer „eigenen“ Communities und Religionsgemeinschaften, um dort in der ihnen bekannten Frömmigkeit ein Stück religiöser und somit identitärer „Heimat“ zu finden. Das Seminar ging unter anderem diesem Phänomen nach und fragte dabei, inwiefern sich diese unterschiedlichen Formen der praktischen Religionsausübung positiv oder negativ auf ein gemeinsames Leben in der Einen Welt auswirken. Wie kann die Frömmigkeit der anderen besser verstanden werden? Wann wird religiöse Praxis manipulativ und schränkt die Freiheit ein? Wie können und sollen sich Formen von Gebet und Gottesdienst weiterentwickeln?
Vorbereitet und geleitet wurde das Seminar von Dr. Marko Kuhn und Miriam Rossmerkel für den KAAD und Dr. Johannes Lorenz für das Haus am Dom in Frankfurt, unserem Kooperationspartner für dieses Seminar. Die geistliche Begleitung übernahm Pater Prof. Dr. Ulrich Engel OP.
In einer Gruppenarbeit zur Frömmigkeit in den Herkunftsregionen wurde zunächst intensiv über religiöse Zugehörigkeit, inter-religiöse Interaktion, staatliche Interventionen und kulturelle Beeinflussung durch die religiöse Praxis diskutiert. Die Ergebnisse der Gruppenarbeiten wurden nach und nach im Laufe des Seminars präsentiert und dienten somit auch jeweils als Einstimmung auf die Vorträge der drei Professorinnen, die alle an der Goethe-Universität Frankfurt im Fach Theologie lehren. Die erste Referentin war Prof. Dr. Annette Langner-Pitschmann, die über „Christliche Frömmigkeit international: zwischen traditioneller und charismatisch-pfingstlicher Praxis“ sprach. Ihre Kollegin, Prof. Dr. Anja Middelbeck-Varwick, nahm dann den interreligiösen Blickwinkel ein und referierte darüber, „was die Praxis verschiedener Religionen mit Kultur und Herkunft zu tun hat“. Abgerundet wurde der Tag durch den Vortrag von Prof. Dr. Viera Pirker, die „Neue Formen von Frömmigkeit im Netz: Das Beispiel Instagram“ in den Blick nahm. Allen drei Vorträgen folgten angeregte Diskussionen und ein Austausch, dem auch die Online-Atmosphäre keinen Abbruch tat.
Am Abend des ersten gemeinsamen Tages konnten dann ohne Vorgaben generelle Fragen zu Religion und Theologie besprochen werden. So ergaben sich beispielsweise Diskussionspunkte zum deutschen System der Kirchensteuer oder zur Vermischung staatlicher und kirchlicher Strukturen in Deutschland und in den Herkunftsländern.
Der zweite Tag war geprägt von verschiedenen Vorträgen der Teilnehmer/innen, die spannende Einblicke in die gelebte Frömmigkeit ihrer jeweiligen Heimatregionen gewährten: Martinus Ariya Seta stellte die christliche Frömmigkeit in Indonesien dar, während Mohammad Anisuzzaman über das Zusammenleben von Hindus und Muslimen in Bangladesch sprach. Fadi Haddad erörterte die religiöse Landschaft während des Konflikts in seinem Heimatland Syrien und auch Patrick Nazi Bonzi berichtete aus Burkina Faso über steigende interreligiöse Spannungen. Schließlich entfaltete Christopher Omolo aus Kenia seine eigene Frömmigkeitsgeschichte als „Religion brewed in an African pot“, konnte aber auch an interreligiöse Erfahrungen, die er in seiner Zeit beim Ordensnachwuchs der Jesuiten in Indonesien und Thailand gemacht hatte, anknüpfen.
Nach einer gemeinsamen Abschlussevaluation wurde das Seminar mit der Feier eines Wortgottesdienstes mit P. Prof. Dr. Ulrich Engel OP und Beiträgen einiger Teilnehmerinnen und Teilnehmer beendet.