Vom 26. bis zum 29. September 2021 fanden sich 28 Stipendiatinnen und Stipendiaten im Bildungshaus Kloster St. Ulrich ein, um sich mit dem Thema „Landwirtschaft und Landleben – Struktur und Kultur im ländlichen Raum“ zu beschäftigen. Der Schwarzwald, einer der bekanntesten und eindrücklichsten ländlichen Räume in Deutschland, diente dafür als Kulisse und Beispiel. Kooperationspartner war bei diesem zum zweiten Mal durchgeführten Seminar wieder das Bildungshaus in St. Ulrich unter der Leitung von Bernhard Nägele. St. Ulrich fungiert auch als Landvolkshochschule der Erzdiözese Freiburg und ist somit prädestiniert für das Thema, das die KAAD- Stipendiatinnen und Stipendiaten dort diskutierten und erlebten.
Für die Vorbereitung und Durchführung des Seminars war diese Zusammenarbeit ebenso wichtig wie für die Gewinnung von Landwirten für die viertägigen „Exposures“ (Kurzpraktika). Dieses Mal half ein Teil der Gruppe im Rahmen der Praktika vor dem Seminar im von der Flut zerstörten Ahrtal. Hierzu gibt es einen gesonderten Bericht.
Für den KAAD leitete Dr. Marko Kuhn, Referatsleiter Afrika, das Seminar. Das Seminar wurde von P. Prof. Dr. Ulrich Engel OP geistlich begleitet. Über die Landwirtschaft und den Strukturwandel in Südbaden sprach Christine Haßauer, Referentin für Agrarstruktur und landwirtschaftliche Belange im Regierungspräsidium Freiburg. Die Teilnehmenden hatten viele Fragen zu Themen wie EU-Subventionen und Gewinnspannen in der Vermarktung bzw. Direktvermarktung (beispielsweise Hofläden oder „Hofeis“), aber auch sehr konkrete Fragen wir Erbfolgen und Hofnachfolge spielten eine Rolle, wodurch die generellen Perspektiven von Landwirtschaft in den Blick rückten. Diskutiert wurde weiterhin die kultur- und landschaftsprägende Funktion der Agrarwirtschaft, die vor allem im Schwarzwald sehr augenscheinlich ist, wo ohne Viehhaltung und Beweidung zahlreicher kleiner Bauernhöfe die „Bilderbuchlandschaft“ nicht erhalten werden könnte.
Im „narrativen“ Teil des Seminars waren mit Angelika Pietschmann und Annemarie Sumser zwei örtliche Bäuerinnen zu Gast, die ihre Lebensgeschichten erzählten und somit den Strukturwandel sehr konkret und persönlich illustrierten. Zahlreiche Fragen und Anmerkungen kamen von den Teilnehmenden, die die beschriebenen Lebensumstände früher und heute mit den „livelihoods“ in ihren Herkunftsländern verglichen, wobei häufig Parallelen zwischen dem, was in Deutschland seinerzeit üblich war und dem, was heute in Asien, Afrika oder Lateinamerika noch Teil des ländlichen Alltags ist gefunden wurden: eine geringe Mechanisierung der Agrarproduktion, ein hoher Anteil an Subsistenzwirtschaft, die starke Einbeziehung von Familie und Verwandtschaft etc.
Dasselbe Phänomen der Vergleichbarkeit von früher (Deutschland) und heute (Herkunftsländer der Teilnehmer/innen) zeigte sich beim Exkursionsteil des Seminars, konkret beim Besuch des Freilichtmuseums Vogtsbauernhof in Gutach. Die Führung „Erleben wie es früher war – Lebensbedingungen und Arbeitswelt der Schwarzwaldbauern“ rief äußerst lebhafte Gespräche hervor.
Ein weiterer Vortrag nahm dann die globalen Agrarmärkte und ihre Auswirkungen auf die Landwirtschaft und Strukturen in den Entwicklungs- und Industrieländern in den Blick. Der Referent für dieses Thema war Jobst Kraus aus Bad Boll, Beauftragter für nachhaltige Entwicklung beim BUND Baden-Württemberg. Er sprach über die weltweiten Verflechtungen des Agrarsektors und über die Wechselwirkungen mit den heutigen Lebensbedingungen in der Heimat der Stipendiatinnen und Stipendiaten, die aus 17 Ländern des globalen Südens und Osteuropas zusammenkamen. Sie brachten ihre eigenen Erfahrungenmit dem Landleben zuhause ebenso mit ein wie (mehrere) Vorträge über die dortigen landwirtschaftlichen Strukturen. Eine besondere Lebendigkeit erhielt das Seminar auch durch Berichte, Fotos und Gedanken zu den jeweiligen Kurzpraktika in den Betrieben, die eine interessante Vielfalt von Anbauprodukten, Fertigungsformen und Vermarktungsstrategien zeigten: Der Obst und Weinbau in der Vorbergzone des Schwarzwaldesund in der Rheinebene war durch mehrere Betriebe vertreten – auch in seiner „konventionellen“ Form durch einen Hof, der komplett auf jegliche chemische Schädlingsbekämpfung oder Düngung verzichtet. In allen Fällen war die Erntezeit im September eine sehr arbeitsreiche Periode, bei dem die Praktikanten und Praktikantinnen kräftig mit anpacken durften. Diejenigen, die Ackerbau und Viehhaltung erlebten, waren von der hohen Mechanisierung (Melkmaschinen und -roboter) ebenso beindruckt wie von den riesigen Traktoren und anderen Landmaschinen, die zum Einsatz kamen. Auch viele Gedanken zur Tierhaltung und zu ökologischen Fragen prägten die Praktika, etwa auf einem Bioland-zertifizierten Hof, bei dem vor allem das Fleisch der Tiere und die Milch aus kuhgebundener Kälberaufzucht vermarktet werden, wodurch die Landwirte bewusst geringere Erträge in Kauf nehmen.
Die Evaluierung und Reflexion zeigten, dass die Verknüpfung von konkretem Erleben in bäuerlichen Familien/Betrieben und das damit verbunden Nachsinnen beim Seminar in St. Ulrich einen besonders tiefen Eindruck hinterließen.
Über unser Seminar berichtete auch die Badische Zeitung Zwei internationale Studenten helfen eine Woche in der Gärtnerei Zipf in Mahlberg mit – Mahlberg – Badische Zeitung (badische-zeitung.de)