Schon beim letzten KASHA-Annual Seminar im Mai 2019 ging es um ethnische Konflikte in Äthiopien, die seit der Übernahme der Regierung durch Premierminister Abiy Ahmed überall im Land ausbrachen und zu Flucht und Vertreibung im großen Stil führten. Damals fand das Seminar unter der Beteiligung einer Delegation der Deutschen Bischofskonferenz in der alten Kaiserstadt Gondar statt.
Als Tagungsort diente diesmal die Stadt Debre Zeit (Bishoftu), wo sich das KASHA-Seminar (vor einer wunderbaren Kulisse inmitten von Seen) der Problematik von „Identity and Conflict – The Role of Faith, the Role of the Church” widmete. Der erste Vortragende war Dr. Marko Kuhn, der sieben Thesen zum Thema „Identität und Konflikt“ aufstellte und diese mit theologischen Erwägungen, vor allem aber mit den Grundsätzen der katholischen Soziallehre abglich. Kardinal Berhaneyesus Demerew Souraphiel, Erzbischof von Addis Abeba und Vorsitzender der Ethiopian Reconciliation Commission, ging dann konkret auf die Situation in Äthiopien ein, indem er über „ The Experience of the Catholic Church and Religious Actors in Peace and Reconciliation in Ethiopia“ sprach. Seine langjährige Erfahrung in der Friedensbildung hat ihn im Grenzkonflikt zwischen Äthiopien und Eritrea ebenso geprägt wie die dortigen ethnischen Konflikte und Vertreibungen in den letzten Jahren. Er berichtete auch über den schwierigen Stand kirchlicher Akteure im sich verschlimmernden Krieg zwischen der äthiopischen Zentralregierung und der führenden Partei im Bundesstaat Tigray (TPLF). Dieser blutige und mit schlimmsten Gräueltaten betriebene Konflikt prägte das Seminar durchgehend. Auch der Input der KAAD-Alumna Fitsum Assefa handelte zu großen Teilen davon. Fitsum Assefa ist Ministerin für Entwicklungsfragen in der Zentralregierung in Addis Abeba. Sie kennt einige der Alumni noch aus ihren Tagen als Doktorandin in Deutschland und hat bereits eine Amtszeit in ihrem Ministerium hinter sich. Nach den jüngsten Wahlen wurde sie von Ministerpräsident Abiy ein weiteres Mal ins Kabinett gerufen.
Die Relevanz der Thematik der Identität(-spolitik) und Konflikte lässt sich eindrücklich an der heutigen Kriegsfront im Norden Äthiopiens absehen: Diskriminierung und Verharmlosung derselben zeitigen Frustration und Wut, führen zu zusätzlichem ethnischen Chauvinismus und einer sich immer weiter drehenden Spirale des Hasses. Dabei zeigen sich Mechanismen wie dehumanisierende Reden, Radikalisierung, Demagogie und starke totalitäre Tendenzen. Die Sorge, dass dieser Konflikt um sich greift und das ohnehin schon fragile Gebäude des Vielvölkerstaats Äthiopien völlig erodieren lässt, ist groß und überall im Land zu spüren. Vergleiche mit dem Völkermord in Rwanda oder den Bürgerkriegen in Jugoslawien werden angestellt, mahnende Stimmen erhoben.
Die Seite der Zentralregierung (und mit ihr ein großer Teil der Bevölkerung) fühlt sich seit Beginn des Krieges von der internationalen Gemeinschaft (vor allem von der Presse) einseitig an den Pranger gestellt und fordert die Nicht-Einmischung externer Akteure. Die Menschen in Tigray hingegen fühlen sich immer weniger als Äthiopier und radikalisieren sich zunehmend, was dortigen Kräften, die die Konflikte und Abspaltungsprozesse vorantreiben, in die Karten spielt.
Das Seminar in Debre Zeit (Bishoftu) war sehr tiefgehend und eindrucksvoll, weil es die grundlegenden Mechanismen eines ethnisch-identitären Konflikts diskutiert und bewusst gemacht hat.