Indien

Prof. Dr. Babu Thaliath

Wissenschaft und insbesondere Naturwissenschaft entstehen nicht im leeren Raum, sondern sind von kulturellen Erkenntnisprämissen geprägt. Wer könnte diese Eckpfeiler einer europäischen Kulturgrammatik, die den Primat der ,Exact Sciences‘ und damit den weltweiten Siegeszug naturwissenschaftlicher Forschung begründet, besser in den Blick nehmen, als jemand, der in seinen ersten Studienjahren frühe Meriten im Bauingenieurswesen erwarb (B. Tech. 1988, Universität Kerala). Ein sich daraus ergebendes Interesse an Raumwissenschaften und Ästhetik führte Babu Thaliath über ein Deutschstudium (M. A. 1994, Jawaharlal Nehru Universität, Neu-Delhi) tief in die Geschichte der modernen Philosophie, ihrer epistemologischen Grundlegung in Kants Transzendentalismus und Baumgartens Ästhetik bis hin in die aktuellen Forschungsgebiete der untrennbaren Verwiesenheit körperlicher und geistiger Erfahrung.

Babu Thaliath, heute im Schnittfeld von Germanistik und Philosophie Professor an der Jawaharlal Nehru Universität in Neu-Delhi tätig, promovierte von 1999 bis 2002 bei Professor Klaus Jacobi an der Albert-​Ludwigs-Universität Freiburg als Stipendiat des KAAD im Fach Philosophie zum Thema „Perspektivierung als Modalität der Symbolisierung. Erwin Panofskys Unternehmung zur Ausweitung und Präzisierung des Symbolisierungsprozesses in der Philosophie der symbolischen Formen von Ernst Cassirer“ (Würzburg 2005). Mentor, inspirierender Gesprächspartner und Lehrer im besten Sinne des Wortes war in dieser Promotionszeit, in den Jahren danach und ist bis heute Professor Gottfried Boehm. In Einzelgesprächen und im Rahmen des Postgraduiertenkolloquiums an der Kunsthistorischen Fakultät der Universität Basel durfte Babu Thaliath sich intellektuell entwickeln, aber auch in seinen Forschungsprojekten konkret gefördert wissen.

Seine Lehr- und Wanderjahre nach der Promotion führten Babu Thaliath dann zu weiteren bekannten Orten der Wissenschaftsphilosophie in Europa: Bei einem kurzen Forschungsstipendium im Jahr 2007 – wiederum über den KAAD – erwies sich Professor Dominik Perler, Lehrstuhlinhaber für Theoretische Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin, als Mentor und sollte auch in den kommenden Jahren Babu Thaliaths Lebensweg mitbestimmen. Kurz darauf förderte die Gerda-Henkel-Stiftung seine Forschungen für weitere zweieinhalb Jahre im Verbund zwischen der HU Berlin und der Universität von Cambridge bei Professor Hasok Changem und dem inzwischen verstorbenen Professor John Forrester an der Abteilung für Wissenschaftsgeschichte und -philosophie. Durch das vom BMBF geförderte Internationale Kolleg Morphomata: Genese, Dynamik und Medialität kultureller Figuationen in Köln setzte Thaliath im Jahr 2016 seine Forschungen mit einem neuen Fokus auf der phänomenologisch-biographischen Dimension von Erinnerung und Erkenntnis fort.

Der KAAD hat den Lebensweg von Babu Thaliath nachhaltig geprägt. In unvergesslicher Erinnerung ist ihm der intellektuelle Austausch zu Promotionszeiten im Rahmen einer Romfahrt im Heiligen Jahr 2000 mit unserem ehemaligen Generalsekretär Dr. Hermann Weber. Kennzeichnend ist aber vor allem, wie sich die Thesen Babu Thaliaths über die Jahre von punktuellen Faszinationen, wie der Arbeit am Begriff der „strukturellen Intuition“ nach Martin Kemp, der als epistemologisches Werkzeug zur Analyse wissenschaftsgeschichtlicher Grundphänomene gefasst werden kann, hin zu einer umfassenden Kontextualisierung der Entstehung der modernen Wissenschaften (Wissenschaft und Kontext in der frühen Neuzeit, Freiburg 2016) formieren konnten.

Die Arbeit des KAAD hat etwas Erfüllendes, wenn Forscher wie Babu Thaliath durch sie zu dem wachsen konnten, wofür sie heute in der internationalen Forschergemeinschaft geschätzt werden, und wenn junge Nachwuchstalente im KAAD ihre geistige Heimat finden, sich international weiter vernetzen und in ihrem späteren Berufsleben über den KAAD eine neue junge Generation in ihrem akademischen Weiterkommen beflügeln.

Für seine herausragende akademische Arbeit in den Bereichen der Erkenntnistheorie und Ästhetik wurde Babu Thaliath im Jahre 2023 der Preis der KAAD-Stiftung Peter Hünermann verliehen.