„Wenn Christen in der Minderheit sind…“ Webinar des KAAD und der Görres-Gesellschaft

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Am 12. Oktober 2023 fand ein vom KAAD und der Görres-Gesellschaft gemeinsam veranstaltetes Webinar statt, das sich mit der Frage beschäftigte, vor welchen Herausforderungen Christinnen und Christen stehen, wenn sie zur Minderheit in einer Gesellschaft gehören.

 

Aus einer soziologischen Perspektive heraus führte Prof. Dr. Esther-Maria Guggenmos, Religionswissenschaftlerin an der Universität Lund in Schweden und ehemalige Referatsleiterin Asien des KAAD, in die Entwicklung des Begriffs der Minderheiten ein und bezog sich dabei auch auf kolonialgeschichtliche und nationalstaatliche Kriterien. Als Minderheiten werden ganz allgemein ethnische, religiöse oder sprachliche Randgruppen oder auch indigene Völker definiert. Da dieser Begriff missverständlich und bisweilen abwertend ist, brachte Pfarrer Prof. Dr. Mitri Raheb, Präsident der Dar al-Kalima-Universität Bethlehem den weniger stigmatisierenden Begriff des ,Citizenship‘ ein. Er ergänzte, dass die gegenwärtigen religionssoziologischen Reflexionen Minderheiten nicht als „naturgegeben“ betrachten würden, sondern die gesellschaftlichen Prozesse, die zur Bildung von ebendiesen Minoritäten führen, untersuchen würden. Anschließend hob Esther-Maria Guggenmos am Beispiel Asiens die Wichtigkeit der internationalen Netzwerkbildung für die Aktivitäten von christlichen Minderheiten in diversen sozialen Bereichen hervor. Da die KAAD-Fachgruppe „Religion im Dialog“, die von Esther-Maria Guggenmos geleitet wird, sich in ihren letzten Treffen intensiv mit der Verbindung von marginalisierten Randgruppen und dem christlichen Selbstverständnis auseinander gesetzt hat, zitierte sie abschließend Ergebnisse der Fachgruppe.

Im Anschluss sprach Mitri Raheb über die Situation von Christinnen und Christen im Nahen Osten. Er erwähnte zunächst deren Vertreibung aus Syrien, bevor er Bezug auf die Situation in Palästina nahm und auf das Scheitern des Friedensprozesses vor zwanzig Jahren einging. Viele palästinensische Christen sind aufgrund der immer stärker werdenden alltäglichen Attacken gegen sie in den letzten Jahren ausgewandert. Der Terror-Angriff der Hamas auf Zivilisten in Israel sowie der sich daran anschließende Krieg im Gaza-Streifen Anfang Oktober hat massive Auswirkungen auf die dort lebenden Christen. Hoffnung hat Mitri Raheb bezogen auf den Fortschritt einer kontextuellen Theologie durch junge palästinensische Theologinnen und Theologen. Darüber hinaus wird ein Drittel der Krankenversorgung in den palästinensischen Gebieten von rund dreihundert christlichen Organisationen gestemmt.

Auf die Situation von christlichen Minderheiten in Indien ging Prof. Dr. Babu Thaliath, Professor für Philisophie an der Jawaharlal Nehru Universität in Neu-Delhi, ein. Obwohl in Indien 26 Millionen Christen leben, machen diese nur etwas mehr als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die äußerst vielfältige Bevölkerungszusammensetzung führte in den Jahren nach Indiens Unabhängigkeit zunächst zum Ziel einer „Diversity in Unity“ – durch die Entwicklung einer hindu-nationalistischen Politik in den letzten zehn Jahren wird die Frage nach der Identität Indiens jedoch neu diskutiert, was mit gewaltigen ethnischen und religiöses Konflikten einhergeht. Exemplarisch nannte Babu Thaliath hier den im Mai 2023 ausgebrochenen Konflikt zwischen der überwiegend hinduistischen Volksgruppe der Meitei und den christlichen Stämmen der Kuki und Naga im ostindischen Bundesstaat Manipur. Die Situation der Christen in Indien ist komplex; in einigen Bundestaaten wie Kerala und Goa stellen Christen einen Bevölkerungsanteil von bis zu 25 Prozent dar. In welche Richtung sich die Politik in Indien entwickeln wird und inwiefern sich diese zukünftige Politik gegen Minderheiten (und somit gegen Christen) richten wird, hängt laut Babu Thaliath maßgeblich von der Parlamentswahl in Indien im nächsten Jahr ab.

In der nachfolgenden Diskussion mit insgesamt 28 Teilnehmenden wurde herausgestellt, dass sich die internationale Politik in den letzten Jahren mit Blick auf Minderheiten drastisch geändert hat. Esther-Maria Guggenmos berichtete von einer Veranstaltung in der jüngsten Vergangenheit, auf der sich eine Minderheit über eben diesen Minoritäten-Status sehr gefreut habe.

KAAD-Generalsekretärin Dr. Nora Kalbarczyk schloss die Veranstaltung damit, dass globalen Veränderungen hin zu „neuen Nationalismen“ und der starken Benachteiligung von Minderheiten mit einer „Kultur des Dialogs“ entgegen getreten werden müsse.

Wir bedanken uns bei der Görres-Gesellschaft für dieses gelungene Seminar und freuen uns auf weitere gemeinsame Veranstaltungen in der Zukunft.

Prof. Dr. Esther-Maria Guggenmos

Pfarrer Prof. Dr. Mitri Raheb

Prof. Dr. Babu Thaliath

Dr. Nora Kalbarczyk